Wer wird denn gleichen weinen? Wir tummeln uns im WeinHerbst 2018
/27.10.2018
Praterinsel München
Grenzen überschreiten, Komfort-Zone verlassen - diese wohlfeilen Selbstmotivations-Sprüchlein benötigen wir gar nicht, wenn es heißt, dass wir uns doch auch einmal einem uns nicht gerade geläufigen Getränk widmen wollen. Und wenn dann noch eine bunte Veranstaltung mit reicher Auswahl lockt, dann heißt es in der Tat: der Wein lädt uns alle ein!
Das gestaltet sich aber anfangs erst einmal ein wenig schwierig. Es mag am tristen Herbstwetter liegen, an der nicht endlos geräumigen Lokalität auf der Praterinsel oder an der Aussicht, für kleines Geld 900 Weine von gut 100 Ausstellern verköstigen zu können: der Ansturm auf den WeinHerbst 2018, das nach eigenem Bekunden „Internationale Genießertreffen“, ist so enorm, dass wir an der Schlange am Einlass zunächst einmal scheitern. Wegen Überfüllung geschlossen, fast wie auf der Wies‘n, na damit hätten wir nun wirklich nicht gerechnet. Wir lassen uns aber nicht verdrießen, nehmen in einer nahegelegenen Badeanstalt erst einmal stilvoll einen Kaffee zu uns und unternehmen dann einen zweiten Anlauf. Das geht zwar immer noch wie bei der beliebten Blockabfertigung im Allacher Tunnel im Berufsverkehr, aber jetzt gelingt es uns tatsächlich, die Halle zu betreten, wo sich in einem hübschen Gewölbe (wo sich vormals die Likörfabrik Riemerschmid befand) dicht an dicht die Aussteller drängen. Der Fokus liegt auf Abfüllungen des Jahrgangs 2017, die selbständige Winzer und Familienweingüter, Destillateure, Winzergenossenschaften und Direktimporteure zum Besten geben. Die Mehrzahl stammt dabei klar aus deutschen Landen, genauer gesagt aus den Klassikerregionen Mosel und Saar, aus dem mir ja besonders lieben Rheingau, aus Franken (inkl. der dort geläufigen Boxsäcke bzw. -beutel), Rheinhessen, der Pfalz und Baden nebst Württemberg. Thematisch liegt der Schwerpunkt auf den Rotweinen, passend zur kommenden Braten-Saison, aber unser Gusto steht uns doch eher nach den weißen Varianten, die auch reichtlich anzutreffen sind. Bewaffnet mit einem Probierglas werfen wir uns in die Bresche und machen gleich Station beim Öko-Weingut Thomas Schaurer, der mit seinem Familienbetrieb in Billigheim-Ingenheim gewohnt gute Qualität fabriziert.
Wir starten mit einem zünftigen Chardonnay Kabinett Trocken, den man uns als Getränk auch außerhalb des Sommers nahelegt und der uns mit viel Frucht und einem feinen Geschmack nach Blüten und Birne schon einmal gut gefällt. Ebenfalls angetan sind wir vom alten Klassiker Riesling Kabinett Trocken, der für mich aufgrund meiner einzigen tiefergehenden Wein-Erfahrung (Rheingau, da wo schon der alte Goethe durch die Keller zog) immer die Messlatte liefert – wunderbar dieser Kollege mit Zitrus, Pfirsich und Kräutern. Fein! Gleich gegenüber bietet die Winzerei Wernersbach aus Dittelsheim ihre Palette, bei der wir uns für einen Riesling vom Hesslocher Liebfrauenberg und ganz ohne Scheu für eine trockene Scheurebe (vom Kalkstein) entscheiden, die beide für feine Fruchtnoten sorgen. Launig wird es dann beim Öko-Weingut Wagner, wo uns die quirlige Standdame amüsant durchs Programm führt: wir lassen uns noch eine Scheurebe (halbtrocken, fruchtig, immer noch ohne Scheu) und einen Riesling kredenzen, der leicht daherkommt und, wie wir fachmännisch konstatieren, mit Fisch oder “einfach so” geht. Beim Weingut Peter aus Wachenheim an der Weinstraße (da gibt’s auch Fremdenzimmer, die heute aber nicht am Stand mit dabei sind) müssen wir dann ein wenig geographische Schützenhilfe leisten: eine Dame aus Kanada zeigt sich verwirrt, dass es in Deutschland die Pfalz (die ist hier gemeint, denn Wachenheim liegt irgendwo zwischen Mannem und Kaiserslautern) und die Oberpfalz zu unterscheiden gilt (das ist dann doch irgendwie weiter unten und im Osten Bayerns) und das ganz und gar nicht zu vergleichen ist. Nachdem das geklärt ist, wenden wir uns einem 2017er Riesling Kabinett trocken zu, der zwar aus dem Wachenheimer Gerümpel stammt (steht zumindest da), geschmacklich aber alles andere als Rumpelig ist. Sehr gelungen!
Quasi als weitere Ausbaustufe wählen wir nun einen 2016er trockenen Weißburgunder, der im Barrique-Fass reifen durfte. Das zeigt sich deutlich in einer trockenen Schwere, die dieser sehr charakterstarke Kollege mitbringt: „der steht für sich selbst!“, halten wir fest und konstatieren, dass man hierzu bestenfalls ein wenig Käse oder Cracker nehmen sollte. Wir sind beeindruckt und wandern weiter zu einer durchaus gewagten Konstruktion: beim Weingut Schwahn-Fehlinger aus Rheinhessen vertraut man offenkundig den Gesetzen der Physik und lässt die Flaschen am eigenen Halse aus einem Holzbrett ragen. Launig erklärt man uns den Hintergrund des niedlich betitelten Rieslings „S’Kabinett’sche“: damals, zu Studentenzeiten, als man noch Gelage bis in die frühen Morgenstunden feierte (ich weise den guten Mann darauf hin, dass ich dies nicht erleben durfte, sondern ganz im Gegenteil die ersten Arbeitswochen in Deutschland nach der hochschulischen Tristesse in Britannien als Privileg erachtete, schon aufgrund der funktionierenden sanitären Einrichtungen, von Heizung ganz zu schweigen), da gab es wohl oft am Ende den Wunsch nach einem eher leichten Getränk, eben einen kleinen leichten Riesling Kabinett. Der hier vorliegende macht diese Sache ganz famos, mit dezenter Restsüße.
Wir probieren gerne noch zwei Varianten: das Kirchspiel (eher kühle Lage, elegant) und den Alten Wingert (Südhang, daher sehr opulent, komplex und untypisch für seine Art), die uns beide gleichermaßen ansprechen. Den letzten Einkehrschwung machen wir dann noch beim Becksteiner Winzer, wo uns ein 2017er Chardonnay Spätlese mit einer viermonatigen Barrique-Reifung entzückt. Schwer kommt er uns entgegen, fast schon Cognac-lastig und spielt die Weinkarte voll aus. Spätestens jetzt hätten leichtere Gesellen bei uns kaum mehr eine Chance, weshalb wir die Schritte langsam aber sicher wieder nach draußen lenken, zumal der WeinHerbst pünktlich um 19 Uhr seine Pforten schließt. Eine schöne Geschmacksreise in konzentrierter Umgebung, die sicherlich auch noch mehr Platz verdient hätte. Wir empfehlen uns für heute und freuen uns dann schon mal auf die nächste Getränkemesse: die Finest Spirits harrt im Januar wieder auf unser Eintreffen. Wir werden sie nicht enttäuschen!