Die Geister gehen endlich wieder um: wir schweben über die Finest Spirits 2022
/Feinste Geister – und das im Spätsommer? Das kann nur eines heißen: die Finest Spirits öffnet endlich wieder ihre Pforten, wenn auch zu ungewohnter Zeit. Das konnte uns natürlich nicht abhalten, ganz vorne mit dabei zu sein. Slainté.
Als wir die Messehallen des altehrwürdigen MVG Museums verließen, damals im Februar 2020, deutete wenig darauf hin, dass diese Ansetzung für einige Zeit die letzte ihrer Art sein sollte. Es kam, wie es sattsam bekannt sein dürfte, feinste Spirits konnte man bestenfalls in eigenen vier Wänden genießen, aber an ein geselliges Zusammentreffen war nicht zu denken. Als dann nach dem Ausfall 2021 auch noch der übliche Termin Anfang des Jahres 2022 verschoben werden musste, war man ja fast schon versucht, wie die Eintretenden in Dantes Inferno alle Hoffnung fahren lassen – aber dann nahte mit der Anberaumung vom 02.-04.09. eine tragfähige Ankündigung, die sich letztlich auch bewahrheitete. Und so meinen wir fast, man käme irgendwie ein wenig nach Hause zurück, als wir uns am frühen Freitag Nachmittag brav zum Presserundgang einfinden. Nils Brage, Chefredakteur der Postille „Mixologoy“ aus dem ausrichtenden Meininger-Verlag, führt uns dieses Mal durchs Programm. Durchaus Aperitif-lastig sei man unterwegs, berichtet er uns gut gelaunt, die Hipster-Bärte sind wohl mittlerweile ausreichend Gin-getränkt, dass man in ein anderes Gebiet überschwenken kann. Über 120 Aussteller sind auch dieses Mal angereist, um zwischen historischen Trambahnen ihr Angebot zu präsentieren. Wir folgen dem guten Nils auf seiner Route, die uns zuerst einmal bei Mark Armin Giesler vorbeiführt, der uns launig mit „Isch bin de Mark, un isch bin schwer in Ordnung“ wohlig in unserem heimischen Slang begrüßt und dann einen Ausblick auf die kommenden Attraktionen bringt, die wir später bei der Laphroaig-Masterclass erwarten dürfen. Vorbei an einer Selektion von antialkoholischen Getränken (die man Destillat nennen muss, Spirituosen gibt’s nur mit Gehalt, again what learned) geht es zum Bremer Spirituosen Contor, wo man einen optisch und physisch eindrucksvollen Stand aufgebaut hat, der nicht zuletzt alte Bekannte wie Paul John und Writers Tears auffährt. Bei A.H. RIISE Spirits nehmen wir wohlwollend zur Kenntnis, dass Dänen auch in der Rum-Produktion nicht lügen, sondern das oft kontrovers diskutierte Thema Zucker im Rum offen ansprechen. Bei Eggers erspähen wir dann den bei Bruichladdich fabrizierten Botanisten, den man mittlerweile in allerlei Kombinationen kredenzt, bevor wir mit der Brennerei Leutenhammer in deutsche Gefilde abbiegen, wo man uns einen Wacholdergeist und auch den hauseigenen Sild Whisky sowie einen Rum vorstellt. Feiner Zug: Teile des Erlöses gehen stets an die Münchner Tafel, eine lobenswerte Idee, die auch am Stand fortgesetzt wird, den das Mixology-Magazin selbst bemannt. Oder vielmehr befraut: Fredi und Natalie stehen hinter dem Tresen und mischen uns live einen leichten Aperitif, der den Rundgang dann auch beschließt.
Nun also haben wir was, was man in der Welt der Pauschalreise „den Abend zur freien Verfügung“ nennt. Wir machen erst nochmal einen kurzen Abstecher zu Mark und plaudern ein wenig über das Laphroaig-Programm, während wir schon einmal eine 10jährige Variante in Fass-Stärke aus dem Batch 15 probieren dürfen, die mit 56,5% den üblichen Laphroaig-Punch wunderbar verpackt. Wir philosophieren ein wenig über den Lore (auch ein NAS kann durchaus überzeugen, wir pflichten unumwunden bei) und drücken unser Bedauern aus, dass der Triple Wood nicht mehr im Sortiment ist. Nachdem wir uns aber ja später nochmal sehen, gehen wir ein paar Schritte hinüber zu unseren Freuden von Bruichladdich, wo wir uns den Bere Barley 2008 und 2011 im Vergleich zu Gemüte führen. Beide kommen mit 10 Jahren und 50% im Gepäck, künden stolz von der Herkunft der namensgebenden Bere-Gerste aus Islay und überzeugen durch ausgewogene Ex-Bourbon-Noten von Zitrone und Vanille. Etwas rauchiger wird es dann schon bei der Cask Exploration-Reihe von Port Charlotte, die wir in zwei Varianten studieren: der Pac:01 2011 wartet bei Fass-Stärke mit 8 Jahren Lagerung auf, wobei zwei „Pacs“, also auch Parcels genannte Rohbrände, kombiniert wurden, die jeweils für 2 Jahre in Rotweinfässern aus der Pauillac-Region gelagert waren. Die Trockenfrucht- und Karamell-Noten veranlassen mich zur wohligen Feststellung, das sei mal wieder „einer zum Kauen“. Der Olc:01 2010 verwendet ein ähnliches Prinzip und vermählt zwei Brände, die zunächst in ex-Bourbon und dann in Weinfässern reiften, hier allerdings nochmals weitere 18 Monate in Oloroso-Sherry-Casks verbrachten (aha, daher also OLC, und jetzt alle zusammen: Ollorrrrosso, so merkt man sich, dass das der trockene der beiden ist…). Spätestens jetzt ist es aber an der Zeit, in die Tiefen der Meere abzutauchen und auf die Suche nach den Kalmaren zu gehen, die nach meinem bescheidenen Dafürhalten die Krönung des Sortiments bieten. Und nachdem mittlerweile unsere Lieblings-Bruichladdich-Bekannte Gazala am Stand angekommen ist, können wir nach Herzenslust über ältere und neuere Ausgaben des Octomore fachsimpeln. Die spaßigen Ausguss-Aufsätze gelingen zwar nicht immer, aber umso unschlagbarer entfalten die Octos als Dialogos-Versionen 10.3 und 10.4 oder auch in den Ausgaben 12.1 (5 Jahre, first fill American Oak, 59,9%) und 12.2 (5 Jahre, first fill American Oak, dann ein finish in Sauternes-Fässern) ihr unnachahmliches Aroma. Die ppms, die irgendwo zwischen 110 und 140 rangieren, umrahmen wie gewohnt die unglaubliche Süße und Abgerundetheit mit Zucker, Honig, Malznoten und Rauch, die wir kennen und so schätzen, wobei beim 12.2 noch die Fruchtigkeit des Weins hinzukommt, die schon den 4.2 so einzigartig machte. Ganz großes Kino in 3D und 4K! Gazala hat natürlich wieder ein besonderes As im Ärmel und holt auch noch den aktuellen 12.3 hervor, der mit 62,1% und 5 Jahren daherkommt. Der new make wurde aufgeteilt in zwei Parcels (kennen wir ja jetzt), die man zu 75% in first fill American Oak und zu 25% in PX-Sherry-Casks lagerte (das wiederum ist der süße, Kenner sprechen hier auch von Peter Siemens). Die Kombination hat es in sich: die Karamell-Noten der Eiche treffen auf die Süße von Trockenobst, wie immer gekrönt vom Octomore-Rauch. Genial!
Wir danken wie immer und wenden den Schritt nun endgültig weiter, wobei sich hier natürlich die so genannte Ollie-Kahn-Frage stellt: was soll jetzt noch kommen? Da trifft es sich gut, dass mit Aleks Vulic ein Bekannter meines mitgereisten Schlachtenbummlers in eine ganze andere Kerbe schlägt: am Stand von Stettner stellt der Gastronom und Tennis-Crack diverse Gin-Kreationen vor. Der Moorgin aus Kolbermoor liefert dafür die Basis, die man mit allerlei Geschmacksnoten wie Mango oder auch Wassermelone verfeinert. Beim Mango Dry Gin, der unter dem Untertitel „The Taste Of Liberty“ läuft, können wir mit historischem Wissen punkten: schließlich ist uns klar, dass der Name Caligo 1720 auf den Piraten Calico Jack anspielt – da sage nochmal einer, schwermetallische Musik bilde nicht, vor allem nicht bei Piraten, die das Hamburger Enterkommando von Running Wild besungen hat.
Waren wir eben noch beim Titan Ollie, kommen wir jetzt beim Kaiser selbst an: beim Stand vom Whiskykeller sind wir fast versucht, das Lied von den guten Freunden anzustimmen, die niemand trennen kann, so herzlich werden wir von Michael Greber, wie immer in fescher Kappe, begrüßt. Gerne probieren wir gleich als Willkommen einen 11jährigen Mannochmore aus der Speyside, der als eine der wenigen Abfüllungen dieser Brennerei nicht in einem Blend landet, sondern als Single Malt mit gefälligen 46% auf 1.042 Flaschen limitiert ist und auch schon das neue Logo das Abfüllers Berry Bros. & Rudd trägt, das den Fenstern nachempfunden ist, die man im Haupthaus in London bestaunen kann. Während wir uns die Hogshead-Reifung mit pfeffrig-fruchtigen Noten schmecken lassen, blättern wir gerne durch das schmucke Werk „Taste & Tales“, das Geschäftsführer Andreas Hailer anlässlich seines 20jährigen Branchenjubiläums zusammenbastelte. Die lockdown-Zeit habe man mit online-Tastings ganz ordentlich überstanden, berichtet Michael weiter, während wir uns einen der neuen „Lords“ anschauen: ein auf 194 Flaschen limitierter Tomatin mit 58,1% firmiert als neuester „Lord Of The Highlands“ und wartet mit einer 12jährigen Lagerung und einem wunderbaren PX-sherry-Finish auf (das war der Siemens, nicht wahr?), das wir uns mit Schokolade, Frucht und einem schier endlosen Abgang gefallen lassen. Da erwerben wir doch gerne eine Flasche und nehmen auch den Hinweis auf den Genießertag mit einem 20th Anniversary Tasting mit auf, das der Whiskykeller vom 16.-17.09. wieder im Hunsrück ausrichtet, komplett mit Whisky-Wanderung und Live-Musik. Zweifelsohne einen Besuch wert!
Bei den alten Schweden von Mackmyra müssen wir dann feststellen, dass der Motörhead-Whisky seit zwei Jahren aus dem Programm genommen ist, aber mit dem Brukswhisky Vintage 2008 (benannt nach der ersten Mackmyra-Brennerei) können wir dennoch einen feinen Tropfen probieren: 13 Jahre in Eichenfässern äußern sich in trockenen Vanille-, Birnen- und Karamell-Noten, und auch der Brukswhisky DLX mit feschem Metall-Schild überzeugt als „more mature version“ auf ganzer Linie dank Oloroso-Nachreifung mit Butter, Zitrone und Birne, gefolgt von etwas Torf und Wacholder. Der nicht umsonst so benannte Moment Virvelwind bringt uns dann als letzte, limitierte Ausgabe der Moments-Reihe eine Kombination aus first fill Bourbon, neuer schwedischer Eiche und wieder Oloroso-Nachreifung. Fein!
Jetzt heißt es aber uffbasse, denn der bekanntlich schwer in Ordnung befindliche Mark ruft zur Masterclass, die bei Laphroaig unter dem Motto „Welcome to the peaty side“ steht. Launig berichtet Mark über seine Karriere in der Branche, die ihn durch 5 Brennereien führte, bekräftigt das altbekannten Slogan „Laphroaig is not for everyone“ und stellt lauthals klar: man spricht es nicht (wie uns das selbsterkorene Spezialisten auch schon weismachen wollten) „Laphroa“ oder sonst irgendetwie aus, sondern – Einblendung Braveheart, Lautstärke voll auf: „Laphroaig!!!!!!“ Danke, wir sind wach und nehmen den Einstieg mit dem Standard: 10 Jahre, 40%, Rauch und Salz, so isser halt, love it or leave it. Mark zeigt nebenbei hübsche Bilder von Islay inklusive der Location von Laphroaig an der Küste, aber das sind ja irgendwie alle Brennereien auf der Insel, geht ja fast nicht anders. Jetzt kommen wir zur uns altbekannten Lore (ist hier kein Frauenname, sondern steht für Überlieferung, Tradition, kennen wir aus Folklore), den NAS, der im Angebot den alten 18er ersetzte. Enthalten sind hier Lagerungen von 8 bis 25 Jahren, wobei den Hauptbestandteil der 15jährige liefert, wodurch die Lore-typische Kombination aus spritzig und abgerundet entsteht. Mark offeriert nun einen kleinen Ausritt in die Vergangenheit, erzählt von Ian Hunter, der die Geschicke des Hauses von 1908-1944 leitete und zum Hoflieferant der britischen Krone avancierte (die gar nicht höfliche Geste, die das begleitet, kennt man in ganz Schottland und lassen wir hier unerwähnt). Mit dem 25jährigen Cask Strength kommen wir jetzt zu einem echten Highlight: 51,9% bringt er auf die Waage, hat ein Vierteljahrhundert in Oloroso-Sherryfässern und amerikanischer Eiche verbracht und gefällt in dieser Kombination mit süßen, floralen Noten in extrem ausgewogener Manier, die cremige Süße und Rauch wunderbar verbinden. Wir sind entzückt, aber auch der 10jährige Cask Strength aus der Batch 15 kann uns nochmals überzeugen: mit Biskuit, Eiche und Tabak-Noten entfaltet dieser Kollege sein ganz eigenes Flair. Lagerfeuer-Feeling vom Feinsten! Zu guter Letzt kredenzt uns Mark noch den 10jährigen Sherry Oak, der nach einer Lagerung in American Oak und Sherry noch eine zusätzliche Reifung in Oloroso-Fässern durchläuft. Das äußert sich in durchaus eindrucksvollen Noten von Honig, süßem Speck, Sirup und Schokolade, die sich gegen Ende mit dem typischen Rauch zu einer einzigartigen Melange verbinden. Wir bestätigen, dass das sicherlich nicht für alle, aber in jedem Falle etwas für uns ist, schreien noch einmal lauthals „Laphroaig“ und wandern von dannen.
Bei einer kurzen Farewell-Runde beim Whiskykeller und bei Bruichladdich sagen wir nochmals Dankeschön und hoffen alle, dass wir dieses Mal nicht wieder zwei Jahre warten müssen, bis wir die wunderbare Geisterwelt wieder besuchen dürfen. Wir empfehlen uns einstweilen.