Mit dem Schlagewagen um die Welt: wir gehen in den Zirkus mit Battle Beast und Future Palace
/09.08.2022 Neue Theaterfabrik München
Der Zirkus kommt in die Stadt – ein wahrlich treffendes Motto für die Gastspielreise, auf der die unnachahmlichen Battle Beast endlich wieder in unseren Breiten vorbeischauten. Manege frei!
Bevor die Sause starten kann, sind wir wie die Artisten in der Zirkuskuppel aber zunächst ein wenig ratlos: wo findet die Austragung denn statt? Die Theaterfabrik haben wir doch eigentlich immer in den Optimolwerken verortet, aber der umsichtige Blick auf den Location-Standort enthüllt, dass wir nach Johanneskirchen reisen dürfen – eben in die „neue“ Theaterfabrik in die Musenbergstraße (wo wir allerdings keinen taubtrüben Ginst vorfinden). Dort angekommen, löst sich auch kurzerhand noch das Verpflegungsthema (vor Ort gibt es zwar nichts zu erhaschen, aber der kluge Mann legt einen Vorrat an und hat stets einen Energieriegel zur Hand), und so können wir in Ruhe die abgefahrene Spielstätte bestaunen. Fast wie ein Kabarett sieht das Ganze aus, mit Spiegelwänden (vermutliche Folie, wäre sonst schon längst zerdeppert), Kronleuchtern und kleinen historischen Schaubuden (unter anderem mit dem seligen Neckermann Versand), in denen, so Städteplaner Sebbes, in der Innenstadt mindestens zwei Familien wohnen würden.
Sei’s drum, wir sind ja hier im Zirkus, und der geht Schlag 8 mit Future Palace pünktlich los. Die drei Herr- bzw. Frauschaften aus Berlin servieren trotz minimalistischer Besetzung mit Gitarre und Schlagwerk blitzsauberen melodischen Alternative Rock mit teilweise elektrischen, teilweise neumetallischen Einsprengseln, den Sangesgrazie Maria bestens inszeniert. Treffend als „gut zum Anheizen“ geeignet präsentiert uns die Dame mit den Manga-Haaren den Song „Flames“, der weiter ordentlich groovt. Maria wechselt dabei zwischen Klargesang und gelungenen Grunzattacken, während die Soundmelange immer wieder einmal an die Glanzzeiten von Die Happy erinnern. Gekonnt feuert Maria die Schlachtenbummler an, deren Zahl sich zusehends vergrößert – offenbar musste der eine oder andere doch erst von den Optimolwerken anreisen. Mit “Heads Up“ und „Gravity“ geht es weiter im Programm, wobei zunehmend der Hüpfburg-Faktor regiert, ohne überzuborden. „Fever“ kündigt Maria als den „Partysong“ an, den vor allem Schlagwerker Johannes treibend voranpreschen lässt. Auch nachdenklich können die Drei: die Texte seien ihr sehr wichtig, deshalb erklärt sie gerne mal, um was es geht, so Maria, vor allem wenn es um ernsthafte Dinge wie häusliche Gewalt geht, wie beim dem nun folgenden „Illusionist“. Mit „Paradise“ gibt es dann noch den „Future Palace Theme Song“ zu bestaunen – alle Welt soll schließlich künftig ein Paradies sein. Das nehmen wir mal als Auftrag und danken.
Kurze Umbaupause, man müht sich, das Backdrop hochzuhieven, aber die Deckenhöhe lässt es nicht ganz zu – nicht so tragisch, wir kennen das Cover des nach wie vor aktuellen Battle Beast-Albums „Circus Of Doom“ ohnehin bestens. Neben der Bühne erspähen wir schon Frau Louhimo mit aufgesetzter Hörnchen-Tiara und stellen fest, dass man im Lockdown nicht unbedingt zugelegt haben muss, sondern ganz im Gegenteil auch den Rückwärtsgang in Sachen Umfang einlegen konnte. Nach einem theatralischen Intro vom Band geht es ohne Umschweife gleich mit dem Titelsong der neuen Scheibe zur Sache. Noora schreitet im Zirkus des Unheils umher wie eine böse Fee, die mit Taktstock und Wallemantel die Zirkusdirektorin gibt und ihre Kombo in Schach hält, die wie immer bestens aufgelegt die Sportgeräte bedient. Allen voran Basser Eero Sipilä, dessen schüttere Haarpracht immer mehr an Otto gemahnt, erweist im Verlaufe des Abends immer wieder als begnadeter Komiker und Conferencier. Weiter im donnernden Takt geht’s mit einem furiosen „Straight To The Heart“, zu dem Noora den Mantel abwirft und ab dann im neckischen Miederstrumpfhosendingens agiert. Absolut trittsicher, agil und motiviert schmettert sie mit ihrem immer wieder beeindruckenden Organ diesen Kracher, bevor sie uns mit einem launigen „How are you Munchen?“ begrüßt. Man sei hier nicht nur in der Rock’n’Roll Capital of Deutschland, sondern der ganzen Welt – das war uns natürlich schon bekannt. Wir danken für die Nachfrage, unser Wohlbefinden steigert sich sekündlich, so dass beim Reißer „Familiar Hell“ die Hüpfmuskeln für die nächste Runde Trampolin trainiert werden (aufmerksame Leser notieren vergnügt die Reihe der Zirkus-Analogien, ich geb mir echt Mühe hier!). Mit „Armageddon“ und „A Place That We Call Home“ kommen weitere Nummern der aktuellen Scheiblette an die Reihe, und wir stellen entsetzt fest, dass wie immer bei Battle Beast das Paulchen Panther-Prinzip regiert: das geht vorbei wie im Rausch, wer dreht denn hier an der Uhr?
Egal, Eero informiert uns nun, dass der zweite Saitenbieger nicht etwa nur einen neuen Haarschnitt habe, sondern dass Haus- und Hof-Gitarrero Juuso Soinio auf der Tournee tatkräftige Unterstützung bekommt. Beim nun folgenden „No More Hollywood Endings“ (im Gegensatz zur Studiofassung wieder mit eingestöpselten Stromgitarren!) legt Noora endgültig schauspielerisches Talent an den Tag: die finstere Mär um geplatzte Illusionen aus der Traumfabrik trägt sie im gekonnt eingesetzten Frontal-Spotlight vor, als ob sie wie weiland Norma Desmond endgültig bereit für ihren close up ist. Mr de Mille ist heute allerdings nicht im Hause, dafür gibt es nun „a surprise“: man lässt das Publikum kurz abstimmen, ob denn auch der Basser das Mikro schwingen sollte. Das lassen wir uns mal nicht nehmen, mit einem beherzten „verfickte Scheiße!“ macht sich Eero ans Werk und intoniert von einem zerknüllten Zettel in spaßig klingendem Deutsch den Disney-Kitsch-Klassiker „Flieg mit mir um die Welt“ aus Aladdin. Und das klingt gar nicht mal so schief. Bei „Eye Of The Storm“ und „Where Angels Fear To Fly“ versieht dann aber dankenswerterweise wieder Noora die Sangesdienste, während die Instrumentalfraktion immer wieder beweist, warum diese Formation mit ihrem höchst melodischen, tief den Geist der 80er atmenden Metal landauf landab immer mehr Anhänger findet. Launig kündigt Eero nun ein „northern epic“ an, woran sich natürlich nur der einzigartige „Bastard Son Of Odin“ anschließen kann, den man schmissig vorträgt und mit akrobatischen Kicks begleitet – Elize Ryd wäre stolz, wir sagen ihr das, wenn wir sie demnächst sehen. Jetzt gibt es schon wieder eine Surprise, das ist ja wie an Weihnachten: „Finland has many great inventions. We have Nokia mobile phones. We have Angry Birds. We have Sunrise Avenue”, erklärt uns Showmaster Eero, aber jetzt käme die absolute Krönung: „the Battle Beast Schlagewagen!“ In der Tat karrt man nun ein zweifelsohne kurioses Gefährt auf die Bühne, das auf einem Rollwägelchen diverse Elektro-Drums und vor allem, gut verklebt, Getränke umherfahren kann. Keyboarder Janne Björkroth, der das Teil offenbar konstruiert hat („he is our Genius“, lobt Noora), legt sich daran ins Zeug, man intoniert das Skywalker-Thema aus Star Wars und geht dann in den March Of The Stormtroopers über, während – so ist es bei jeder Ansetzung ja Brauch – der gute Janne ein Bier auf Ex abschütten muss. Das geht nicht ab, ohne dass das Tasteninstrumententeil ein wenig in Mitleidenschaft gezogen wird, aber Keyboards funktionieren bekanntlich nur richtig, wenn sie wiederholt benetzt werden. „This is the Schlagewagen – Rammstein will order it! Remember, you saw it here first!”, versichert uns ein glucksender Eero, während sich Janne daran macht, die per Klebeband befestigten Zutaten zu einem ordentlichen Gin and Tonic aus dem Gestellt zu klauben und den Herren einen auszuschenken.
Kaum sei man weg, fangen die Männer an zu trinken, empört sich Noora, aber Eero weiß: „it’s the Bavarian way!“ Dagegen lässt sich nichts einwenden, daher weiter im Programm mit dem schmissigen „Russian Roulette“ und „Wings Of Light“ (so langsam haben sie die neue Platte komplett durch…). Mit „Eden“ setzen sie dann einen wunderbaren Schlusspunkt, der schon beim letzten Besuch 2019 in ganz besonderem Licht erstrahlte. Kurzer Zwischenstopp, aber natürlich geht’s weiter mit dem „Master Of Illusion“, der uns als erste Auskopplung vom neuen Album seinerzeit schon in Verzückung versetzte. Durchaus glaubhaft versichert uns Noora nun, das Ganze sei ganz schön emotional, vor 10 Jahren sei sie zum ersten Mal in München gewesen mit Battle Beast – wir können hier ebenfalls glaubhaft zusichern, mit von der Partie gewesen zu sein, wie eigentlich jedes Mal seitdem. „King For A Day“ brettert wieder auf der ganzen Linie, und ein zauberhaftes „Beyond The Burning Skies“ beschließt den Abend. Und jetzt haben wir ein Problem. Das mit der gedrehten Uhr muss stimmen, das waren doch erst zehn Minuten maximal, bitte alles nochmal von vorne, damit es nicht so schnell vorbei ist. Oder wir warten einfach aufs nächste Mal. Einstweilen empfehlen wir uns und wünschen viel Erfolg beim internationalen Marktstart des Schlagewagens, mit dem man sicherlich auch um die Welt fliegen kann. Bestimmt mehr als einmal.