Bombenstimmung und sichtbare Knöpfe: wir ziehen durch die Nacht mit Powerwolf, Amaranthe und Kissin‘ Dynamite
/09.11.2018 Zenith München
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Welch ein Paket! Die emsigen Heavy Metal Priester, Elize Ryd und ihre Freunde und dazu noch ein ordentliches Pfund Swabian Metal - da dachten nicht nur wir uns: nichts wie hin zu den Wolfsnächten 2018!
In seinem gewohnt launigen transsylvanischen Pseudo-Akzent steht Attila Dorn in stattlichem Volumen da und teilt uns mit: „Wir kommen ja sehr viel rum, und deswegen habe ich geübt auch mal Bayrisch für Euch. Also, wie klingt das: wanns’d ned midmachsd, gibt’s a Fotzn!“ Die 6000 im Raume verstehen das bestens, quittieren das mit einem wohlwollenden Applaus und stürzen sich fröhlich weiter in die Bresche. Die war allerdings gar nicht so einfach zu erreichen heute, denn kurz vor Konzertbeginn am frühen Abend sorgte ein Bombenfund in der Nähe für Gebäuderäumungen und Straßensperren.
Pünktlich zum Start konnte allerdings schon wieder Entwarnung gegeben werden, so dass die Senkrechtstarter von Kissin‘ Dynamite schon auf eine durchaus stattliche Schar blicken können, als sie mit „I’ve Got The Fire“ in ihr Set einsteigen. Mit Dynamitstangen-Deko, 3-Wetter-Taft-Testimonial-Frisur und vollmundigen Sprüchen zelebrieren die Jungs aus Burladingen (kennt man ja aus der Fernsehwerbung als Heimstatt des Textilbarons, der „auch weiterhin in Deutschland produzieren und diese 800 Arbeitsplätze sichern“ wird) in den nächsten 45 Minuten ihren Steel of Swabia, was vor allem die holde Weiblichkeit durchaus verzückt. „Somebody’s Gotta Do It“, der Speed-Kracher „Highlight Zone“ und der Stampfer „Love Me Hate Me“ sorgen für Laune und einen Stimmungspegel, den man bei Supportbands doch eigentlich eher selten antrifft. So, meine Herren, ja so nehmen wir Vorgruppen natürlich äußerst gerne an! Während Shouter Hannes „Bring back Stadium Rock!“ fordert, fragen wir uns noch kurz, ob Gitarrero Ande Braun auf der Brust unter Haarausfall leidet – aber egal, die ganz große Geste beherrschen die Jungs famos, da stolziert Hannes zu „I Will Be King“ mit Purpurrobe und Zepter umher, die Menge läßt sich mühelos zu einem Grönemeyer-Winkehände-Meer animieren, und am Ende erklimmt Hannes dann sogar in Original-Klaus Meine in den 80ern-Manier die Beine seiner Saitenfraktion. Ein mehr als gelungener Abriss und ein zünftiger Auftakt nach Maß.
Dass der Schuppen heute ausverkauft ist, zeigt ein kurzer Blick ins Rund – wobei man organisatorisch einiges sehr richtig gemacht hat. Um vorne allzu großes Gedränge zu vermeiden, werden an die früh genug Angereisten Bändchen verteilt, die dann zum Wiedereinlass in diese front of stage-Zone berechtigen – so weit, so klug (und ein Beispiel, wie man das ganz entspannt ganz ohne Kies und sonstige Diskussionen, die wir auf dem Königsplatz beim Rockavaria führen mussten, regeln kann). Weniger praktikabel ist allerdings, dass die rechte Seite ausschließlich als Hinausweg genutzt werden darf und man zum Wiedereintritt einmal quer durch die Halle nach links muss – das gerät dann im Laufe des Abends zum immer größeren Abenteuer, aber auch das bekommen wir irgendwie hin. Wichtiger ist ohnehin, dass jetzt (hoffentlich) das nächste Highlight lauert: die melodisch-symphonisch-elektrischen Herrschaften von Amaranthe springen auf die Bretter und legen mit „Maximize“ gleich mal maximal los. Da können Nils Molin und Henrik Englund Wilhelmsson noch so clean oder grunzend auftrumpfen: Blickfang ist und bleibt die ebenholzmähnige Elize Ryd, die heute mit einem feschen schwarzen Mantel daherspaziert und lasziv-selbstsicher wie immer agiert. Das geht massiv nach vorne, bollert ganz gewaltig – aber soundtechnisch haben wir die Schweden schon deutlich besser und transparenter erlebt. Naja, vielleicht liegt es nur daran, dass wir zu weit vorne stehen, wir werden sehen. Nach dem Stampfer „Digital World“ offenbart uns die liebe Elize, dass sie natürlich auch heute wieder ein hübsches Outfit für uns dabei hat: der Mantel fliegt weg, und da steht sie in…einer Plastiktüte.
So in etwa sieht dieses Teilchen aus, das in leuchtendem Rot aus der Lack-und-Leder-Fraktion entlehnt scheint und ganz unverhohlen das produziert, was man bei amerikanischen Großevents einmal als nipplegate bezeichnete. Das scheint genau so gewollt, weshalb wir das geneigt zur Kenntnis nehmen, während „365“ vom neuen Album „Helix“ zwar einen guten Song, aber auch wieder ein ziemlich Soundchaos bietet. Hm. „1.000.000 Lightyears“ und „Hunger“ ziehen ebenso vorüber, zum schönen „Amaranthine“ stellt Elize fest, dass man hier immer sehr feine Mitsing-Feste feiern könne, was auch heute ganz gut klappt. Weniger überzeugend kommt dann – trotz Beoncé-hafter räklender Tanzeinlagen – das neue „GG6“ daher, weshalb wir uns erst einmal auf das lustige Beinkleid von Herrn Molin konzentrieren, bei dem die Stiefel direkt ins Hosenbein integriert sind. Da kann aber mal gar nichts passieren! Hüpfattacke ist dann wieder beim Single-Hit „Drop Dead Cynical“ angesagt, aber das beißt die plastikgekleidete Maus keinen Faden ab: bei den Schwaben war die Stimmung besser (so wie früher mehr Lametta). „Call Out My Name“ und „Nexus“ runden dann ein Set ab, das einen seltsam zwiespältig hinterlässt – die Songs sind zweifelsohne gut, die Optik betörend, aber irgendwie klang das alles etwas durcheinander heute. Nun ja, wir werden sie wieder sehen.
Jetzt wagen wir uns ein letztes Mal auf die große Überfahrt – wie gesagt, rechts raus, einmal quer durch, dann links wieder rein – und bestaunen schon einmal den riesigen „PW“-Vorhang, der die Bühne jetzt verdeckt. Das geht alles schnell von statten, so dass Schlag 21 Uhr der sprichwörtliche Vorhang fällt und Powerwolf mit „Fire And Forgive“ gleich standesgemäß einsteigen. Die Bühne wirkt riesig, hat fast Festival-Dimensionen, mit gewaltigen Backdrops, einem massiven Drumriser rechts und einem ebenso erhöhten Keyboard-Podest, auf dem Falk Maria Schlegel thront, wenn er nicht gerade umherfegt. Die Pyro-Einsätze (mitsamt Handflammenwerfer, die schon Bruce auf der letzten Maiden-Tour gekonnt abfeuerte) schöpfen wohl das aus, was in einer Halle gerade noch erlaubt ist, und das Songmaterial ist bei diesen Herrschaften eben für die livehaftige Darbietung exzellent geeignet. Gleich an Position 2 feuern sie mit der „Army Of The Night“ einen massiven Hit ins Rund, das etatmäßig steil geht. Was ein Auftakt! Zeremonienmeister Attila Dorn wendet sich nun launig an uns, stellt fest, dass in der Tat 6000 Leute anwesend sind, um die einzig wahre Heavy Metal Messe in Eurrrrropa zu feiern.
Ob wir denn auch alle sündig seien, will er wissen – na klaro, immerhin gilt da das mit dem ersten Stein und so, aber Attila weiß wie immer Rat für alle: „Wer nicht sündig ist, der kann gerne ein Stofftier auf die Bühne werfen“. Weiter im Text mit „Incense And Iron“, zu dem der gute Mann ein Weihrauchschiffchen schwenkt wie ich zu meinen besten Messdienertagen. „Amen And Attack“ brettert wie immer alles nieder, und nachdem Attila uns wie oben beschrieben in bestem Bajuwarisch zum Mitmachen animiert, nimmt dann „Let The Be Night“ mit stilvoller Feuerinszenierung und astreinem Gesang gleich Anlauf zum besten Song des Abends. Hut ab, die Herren! Die beiden Grauwölfe schreddern und moshen sich einen Wolf (jaja), und wie immer stellen wir irgendwann fest, dass dieses Klanggewölbe ganz ohne Bass auf der Bühne auskommt. Kleidungstechnisch hat man sich offenbar, wie auch im Hause Anthrax üblich, abgesprochen – man trägt mit Ausnahme von Oberpriester Attila schwarzes Hemd mit güldenen Verzierungen. „Demons Are A Girl’s Best Friend“ und „Killers With The Cross“ vom aktuellen Album “Sacrament Of Sin” laufen gut rein, aber das mächtige “Armata Strigoi” (das mir auf Konserve irgendwie nicht so taugt) entfaltet live seine ganzen Mitsing-Qualitäten, die wie vorher entsprechend einüben dürfen. „Blessed And Possessed“ brettert ordentlich daher, dann rollt man ein Orgelkeyboard herein, an dem es sich Falk bequem macht, während Attila sehr stilvoll „Where The Wild Wolves Have Gone“ intoniert.
Fein! Jetzt geht es dann eher in die Erwachsenen-Ecke: „Resurrection By Erection“ hämmert ordentlich, und das rhythmische „Stoßgebet“ brilliert als klar bester Song des neuen Albums. Themenwechsel hin zum Lebenssaft: „All We Need Is Blood“ und „We Drink Your Blood“ halten die Stimmung unverändert oben, bevor dann ein mächtiges „Lupus Dei“ das Set erst einmal beschließt. Hossa! Natürlich bleiben wir noch stehen (nochmal umrunden wir die Welt nicht mehr), denn schließlich gibt es noch eine Dreingabe: „Sanctified With Dynamite“ funktioniert wieder einmal bestens. Nun fragt uns Attila nach unserem Wohlbefinden: „Na, unten rum alles in Ordnung?“ Ja, das bestätigen wir einmal und nehmen gerne das folgende „Coleus Sanctus“. Nachdem dann noch die „Werewolves Of Armenia“ an uns vorbeigehechelt sind, strömen wir durch die dankenswerterweise flott geöffneten Seitentüren hinaus in Richtung des freundlicherweise bereitstehenden pick up Services, den vor allem dann Völkerverständigungsbotschafter Sebbes herzlich-handgreiflich begrüßt. Was können wir da sagen – außer: Vielen Dankeschön!
Gleich mehrere, doch eigentlich unerschütterliche Grundtatsachen des Lebens werden an einem Abend hinterfragt...