Die letzte Fahrt des Tages: Nightwish nehmen uns mit in ihrer Zeitmaschine

14.11.2018
München Olympiahalle

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„Decades“ – darunter verbirgt sich die Gastspielreise, auf der die Meister des epischen Bombast derzeit in aller Welt ein fulminantes History-Set darbieten. Wenn der Tross da in unseren Breiten Station macht, steigen wir natürlich zu. Los geht’s!

„We Were Here!“ Das steht da, grünen Lettern, zu einer ganz gewaltigen Explosion, die uns fast einen Meter nach hinten schiebt. Wow! „The Greatest Show On Earth“ haben sie da gerade wieder einmal in epischster Länge ausgebreitet, untermalt mit Videoeinspielungen, die die ganze Evolution bis hin zum aktuellen eher ruppigen Umgang mit unserem Heimatplaneten versinnbildlichen. Eine wunderbare Fahrt, die auch dieses Mal wieder zu Begeisterungsstürmen allenthalben Anlass bot.

Anfangs schien das noch etwas dubios, immerhin füllen sich die Reihen in der Olympiahalle eher zögerlich, so dass wir noch relativ entspannt ganz nach vorne marschieren können, als ein schmackiges „Night Crawler“ von Judas Priest aus der Konserve den Anheizer ankündigt: wir haben (schon wieder) das Vergnügen mit Beast In Black, der Kombo, die ex-Battle Beast-Mastermind Anton Kabanen nach seinem Abgang bei den finnischen Senkrechtstartern initiierte.

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Die Auftaktsongs „Beast In Black“, „Eternal Fire“ und „Blood Of A Lion“ laufen allesamt gut rein, der Sound liegt – keineswegs überraschend – sehr nahe an der Battle Beast-Linie: also melodischer, sehr keyboardlastiger Metal. Wobei man kurioserweise keinerlei Tastengreifer auf der Bühne sieht, sondern diese Klänge aus der Tüte kommen. Shouter Yannis Papadopoulos agiert in Ledermantel trittsicher und klingt dabei eins ums andere Mal wie eine sehr gute zweite Ausgabe von Noora Louhimo. Schneller zur Sache geht’s dann bei „Fifth Angel“, „Born Again“ kann nicht ganz überzeugen – und auch die Ballade „Ghost In The Rain“ bleibt dem Schmalztiegel leider nicht vollends fern. Seltsam wird es dann bei „Crazy, Mad, Insane“ – wo wir eine Speedrakete erwartet haben, fühlen wir uns plötzlich in ein Formel Eins-Video der späten 80er versetzt, komplett mit Snap/Rhythmus ist ein Tänzer-Beat und albernen Sonnenbrillen mit Leuchtschrift. Das Genre des Disco Metal kann man durchaus erfolgreich besetzen, wie das eben Battle Beast ja vormachen, aber das hier klingt dann doch reichlich schräg. Bei der ersten Single „Blind And Frozen“ stimmt die Richtung dann allerdings wieder, so dass wir nach „End Of The World“ doch noch zufrieden sein dürfen.

Während ein großer Vorhang die Bühnenarbeiten verbirgt, nutzen wir den Wechsel in den Reihen, um komplett nach vorne zu marschieren. Dort verfolgen wir dann alsbald ein feines musikalisches Intro von Troy Donockley, der uns ganz alleine das stille „Swanheart“ darbringt. Mit der Ruhe ist es allerdings vorbei, als Nightwish mit dem Kracher „Dark Chest Of Wonders“ massiv in den bunten Reigen einsteigen. Schon beim Anfangsstakkato wird der Sinn der vielen Gasflaschen neben der Bühne klar: wie schon Powerwolf am Freitag heizen auch Nightwish die Halle mit einem derartigen Pyro-Gewitter auf, dass das für alle Campingplätze längs der Isar reichen sollte. Die zauberhafte Floor Jansen brilliert wie stets auch in den höchsten Klippen und fegt in einer feschen, stilisierten Lederrüstung (man kennt das schon vom Wacken-Auftritt) sichtlich gut gelaunt über die Bühne. Auch wenn der Sound bei den Auftaktnummern irgendwie noch etwas dünne klingt, zündet auch der zweite Once-Vertreter „I Wish I Had An Angel“ unter stimmgewaltiger Unterstützung vom Präsidenten der Zottelbärte Marco Hietala ebenso feurig wie das folgende „10th Man Down“ (von der „Over the Hills And Far Away“-EP) – meine Herren, wird das heiß das vorne! Die riesigen Videoleinwände verwandeln die Bühne zu jedem Song atmosphärisch stimmig in eine passende Landschaft, in der sich auch das wunderbare „Come Cover Me“ als erster Vertreter des „Bless The Child“-Albums wundervoll macht. Die unbeschreibliche Floor begrüßt uns nun und setzt den Ton für den Abend: mitnehmen wolle man uns in einer Zeitmaschine durch die ganze Bandhistorie.

Da fahren wir in jedem Fall gerne mit, vor allem, wenn es um mit dem mythisch-ausladenden „Gethsemane“ zum Wunderwerk „Oceanborn“ zurückführt, mit dem Nightwish 1998, also vor schlappen 20 Jahren (!), nach den ersten Gehversuchen zu ihrem eigentlichen Sound fanden. Geradezu aktuell dann die Semiballade „Élan“ vom ersten Floor-Studioalbum „Endless Forms Most Beautiful“, das mit seinen pastoralen Elementen begeistert abgefeiert wird. Und wieder zurück zum Anfang der Karriere mit dem in der Tat berückenden „Sacrament Of Wilderness“, was einen mitgereisten Bandhistoriker zur immer gerne gehörten Geschichte animiert, wie er noch zu „Oceanborn“-Zeiten im wilden Hessenland (genauer gesagt der Frankfurter Batschkapp) die damals neue Finnenkombo als Vorgruppe von Rage erlebte und fortan verzaubert war – ebenso wie vom elegischen „Dead Boy’s Poem“, das mit einem astreinen Opel-Motorhauben-Paintbrush-Motiv als Hintergrund vorgeführt wird. „Sensationell“, urteilen wir da.

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Jetzt verschwindet Floor, und die Herren intonieren alleine das Traditional „Elvenjig“ – muss sie sich etwa umkleiden wie ihre Kolleginnen teilweise? Nein, zu „Elvenpath“ (Backdrop: Eislandschaft) stolziert sie in unveränderter Kluft wieder hervor. Seine ganze Sangeskraft kann Marco dann bei „I Want My Tears Back“ einbringen, bevor ich dann zu „Last Ride Of The Day“ wie immer vollständig in Verzückung gerate – vor einem wirbelnden Karussell entfaltet diese „Imaginaerum“-Nummer für mich einen derartigen Zauber, dass man gar nicht richtig zuschauen kann. Großes, großes Breitwandkino. Ganz weit in die Vergangenheit reisen wir dann, bis hin zu Debüt „Angels Fall First“, von dem wir nun „The Carpenter“ kredenzt bekommen – und das ist wohl noch die beste Variante von diesem Album, bei dem man sagen wir mal noch auf der Suche nach sich selbst war. Das Stakkato vom leider selten im Programm befindlichen „Kinslayer“ bolzt alles nieder, inklusive der leicht angeschrägten Gesangslinien, und auch die „unhappy love story“ „Devil & The Deep Blue Sea“ reißt ordentlich was um. Floor genehmigt sich dazu beim Oberönologen Tuomas ein Gläschen Roten, bevor es dann mit einem wunderbaren „Nemo“ wieder schön melodisch-lyrisch weitergeht. Massiv auf die Mütze bekommen wir dann noch bei der Metallica-Hommage „Slaying The Dreamer“, bei der Emppu beweisen darf, dass er auch harte Messer-Riffs draufhat – und wir feststellen, dass die Gasflaschen für die Pyros noch lange nicht leer sind.

Auf dem Fuße folgt die Evolutionsreise in der „Greatest Show On Earth“, die im eingangs erwähnten, frenetisch mitgesungenen „We Were Here!“ kuliminiert. So gut kann epischer Bombast-Rock sein, so sympathisch vorgetragen und vor allem so vielschichtig. Einziger Mini-Kritikpunkt: eigentlich sollte nach dieser erhabenen Nummer Schluss sein, den nun folgenden „Ghost Love Score“ hätte an vielleicht lieber zuerst gebracht, aber sei’s drum. „It was wonderful travelling in our time machine with you!” Floor, die Freude lag ganz bei uns. “Das schauen wir uns auch noch zehn Mal an!”, kommentieren meine Mitreisenden. Ich korrigiere das gerne: noch zwanzig Mal. Und mehr. Und nochmal von vorne. We were here!