Richard, wir sind nicht mehr in Kansas: wir schauen nach den Sternen mit Rainbow
/12.06.2019
Olympiahalle München
Von der Burg zurück an die Verstärker: Richie Blackmore bereist seit geraumer Zeit mit einer Kombo die Lande, die unter dem klingenden Namen Richie Blackmore’s Rainbow firmiert. Zur einzigen Ansetzung in Deutschland in diesem Jahr pilgerten wir doch gerne und stellten fest – es war bunt.
Einmal hört man es ganz deutlich, als er mit seinem Sänger Ronnie Romero parliert: wenn Richard Hugh Blackmore tatsächlich einmal spricht, dann klingt das sehr nach John Cleese. „Can you say that in Spanish?“, fragt er da seinen Shouter aus Chile, und man glaubt fast, Basil Fawlty gerate gerade wieder einmal mit seinem Oberkellner Manuel aneinander. Mit seinem Elf auf Urlaub-Aufzug inklusive Schlabberhemd und Schnürstiefeln aus der Minnesang-Ära von „Blackmore’s Night“ nimmt er das Ganze auch offenbar nicht allzu ernst, diese Gastspielreise einer Söldnertruppe, die für kurze Zeit die Magie der alten Großtaten beschwören soll. „Rock Memories“, so lautet denn auch treffend das Motto der mittlerweile seit 2016 rollenden Tournee, die in diesem Jahr einmalig in Deutschland halt macht. Das wollen sich die Münchner Schlachtenbummler vor allem gesetzteren Alters nicht entgehen lassen: das weite Rund der Olympiahalle ist durchaus gut besetzt, nur ganz hinten kaschiert ein Vorhang, dass es nicht ganz ausverkauft ist heute Abend. Eng genug wird es vor der Bühne aber allemal – immerhin will man ja in Sichtweite sein, wenn der Meister sich zeitlose Riffs aus dem Plüschärmel schüttelt.
Zuerst einmal allerdings geben sich die deutschen Kollegen von Tokyo die Ehre – nicht die aus dem Hotel, sondern die Formation um Basser Ken Taylor, die in den frühen 80ern mit dem gleichnamigen Song einen respektablen Hit landen konnte. Ihr melodisch-poppiger Hardrock passt durchaus zur heutigen Gemengelage, und nach einem etwas mühseligen Anfang mit dem sperrigen „Stand Up“ nimmt die Chose mit „Teenage Shooter“ und dem alten Reißer „Tokyo“ tatsächlich Fahrt auf. Mit sauberen Gitarrenharmonien und feinem Gesang punkten die Kollegen, wenngleich das Set gegen Ende wieder etwas an Schwung verliert. Nach 40 Minuten verabschiedet man sich artig.
Nach einer eher kurzen Umbaupause (bei der ein Gitarrenroadie mit Rauschebart schon einmal die ikonische weiße Stratocaster durch die Gegend trägt), in der sich die „Richie! Richie!“-Rufe mehren, ertönt dann das Intro in Form von „Land Of Hope And Glory“, gefolgt natürlich von dem kurzen Schnipsel, das auch schon die legendäre Live-Konserve „On Stage“ eröffnete: die kleine Dorothy informiert uns kurz, dass man offenkundig nicht mehr in Kansas sei, dann entert die Söldnerhorde die Bühne, und auch Herr Schwarzmeer spaziert herein. Die ersten Riffs von „Spotlight Kid“ kommen eher schwach daher, relativ wenig Druck im Sound – aber durch die absolut achtbare Darbietung von Shouter Romero rettet man sich hier dann doch noch über die Runden. Die Bühne ist eher spartanisch eingerichtet, auf einem massiven Screen flimmern im Laufe des Abends immer wieder die zugehörigen Plattencover übers Bild, was eine feine Erinnerung an die reichhaltige Historie ist. Meister Blackmore selbst hat seine Kluft wohl aus der Mittelalter-Phase mitgenommen: Schnürstiefel, bunter Gürtel und Rüschenhemd inklusive, nur den lustigen Seppelhut hat er heute vergessen. Unverändert allerdings ist das eher reduzierte Stageacting – offenbar hat man ihn mit Sekundenkleber am Boden befestigt, so standhaft verharrt er vor dem Schlagzeug auch beim folgenden „I Surrender“. Hier merkt man schnell, wie gelangweilt der Virtuose bei den Nummern ist, die in den frühen 80ern ganz offenkundig auf den US-Radio-Markt schielten – die Menge goutiert das Ganze, der Maestro nudelt es halt herunter. „It’s my first time in Munich“, schwadroniert der Chilene dann mnter, „but definitely not Richie’s!“ Stimmt, nicht zuletzt eine legendäre Live-Aufnahme entstand hier vor Ort in den seligen 70ern, an die die erste Purple-Verneigung „Mistreated“ nun gemahnt. Und hier ändert sich auch die Haltung des Meisters – das Stück fordert ihn dann doch mehr, und schon knallt die Chose ganz gewaltig, auch wenn der Song sonst ja oft gerne mal schleppend daherkommt. Auch wenn Romero uns nicht ganz den David Coverdale machen kann, erledigt er die Sache ordentlich, und so galoppiert sogar das Ende im up tempo Bereich furios ins Ziel. Das erste Highlight – wer hätte das gedacht! Zu einem sehr buntigen Backdrop, das das „Down To Earth“-Cover zeigt, gibt es dann wieder Schlageralarm: „Since You Been Gone“ spielt der gute Richie wahrscheinlich noch noch 5 Maß auf der Wiesn einhändig, aber die Schlachtenbummler singen dennoch frohgemut mit. Unangenehm notieren wir, dass es doch einiges an Geschiebe und Drängelei gibt – Leute, ihr seid alle Mitt50er, entspannt Euch mal! Nun wandert der gute Richard doch tatsächlich einmal kurz zu uns, macht ein paar Animationsübungen und tritt in den oben beschriebenen Austausch mit seinem Sänger. Er kann sich also doch bewegen und auch sprechen, was wir beruhigt notieren. Auch insgesamt wirkt er heute für seine Verhältnisse nachgerade fröhlich, manchmal feixt er umher und macht sogar Gesten ins Publikum. Zu einem eher verschlungenen Märchenschloss, das einst das erste Album zierte, feuert er uns nun das phänomenale Riff des „Man on the Silver Mountain“ entgegen, den ja auch der gute alle Ronnie James Dio live stets im Repertoire hatte. Mit druckvollem Sound, ordentlichem Speed und sogar einer kleinen „Woman From Tokyo“-Einlage gerät dieses alte Schlachtross zum absoluten Tagessieger. Bezeichnend allerdings, dass die älteren Mädchen und Buben um mich herum mit wenigen Ausnahmen keine Ahnung zu haben scheinen, was denn das für ein Song ist. Ihr Nasen. Dräuend läutet der Keyboarder – mit schlohweißem Riff Raff Haar – nun eine weitere Purple-Nummer ein: „Perfect Strangers“ (wir alle wissen: produced by Drafi Deutscher!), eigentlich immer ein Garant für beste Atmosphäre, knallt heute irgendwie überhaupt nicht. Das Stakkato-Riff, auf das wir im Mittelteil alle warten, verpufft seltsam wirkungslos, und Shouter Romano kommt hier dann doch auch mal an seine Grenzen. Hurm. So langsam denke ich, dass ich in einem Konzert von Purple Rainbow gelandet bin, den erneut greift Herr Blackmore in die Klassikerkiste und zieht „Black Night“ hervor – was viel zu langsam und lustlos daherkommt. Da nutzen auch alle Schütteleien des Rüschenärmel nichts, der Herr.
Das durchaus wohlfeile Instrumental „Difficult To Cure“ läuft mit Beethoven-Anklängen natürlich fein rein, dauert aber im Mittelteil viel zu lange und reißt somit die Butter nicht unbedingt vom Brot. Daneben notieren wir allerdings gerne, dass Richie in Folge sogar einen Becher Getränke in die Menge reicht – den Inhalt konnten wir leider nicht bestimmen. „All Night Long“ schlägt dann wieder eher in die Hit-Kerbe, kommt aber dank einer wieder sehr überzeugenden Gesangsleistung durchaus passabel rüber. Nun allerdings wird es spannend: das Backdrop zeigt die ikonische Faust mit Regenbogen, die das legendäre „Rising“-Cover ziert, und wir sind durchaus gespannt, ob sie DAS nun hinkriegen. Antwort: ja, unbedingt. Ein mächtiges „Stargazer“, bei dem ein Shouter gegen Dio erst einmal bestehen muss, avanciert neben dem Silberberg zum absoluten Höhepunkt des Abends. Episch, ausladend, krachig: so muss das sein. Wunderbar. „Long Live Rock’n’Roll“ läuft mit den zu erwartenden Mitsingspielchen gut rein, und danach haben sie noch eine Überraschung parart: auf der Leinwand gibt es eine kleine John Lord-Hommage zu sehen, mit vielen Bildern des Tastenmeisters in Begleitung des Gitarreros, was fast schon bewegend ist. Schön! Richard selbst wirft nun CDs und T-Shirts in die Menge (er wird regelrecht zur Rampensau, wenn das so weitergeht), bevor dann mit „Burn“ der gelungenste Purple-Beitrag folgt: hier brennt in der Tat die Luft. So muss das! Dass es als Zugabe noch „Smoke On The Water“ gibt, ist fast schon nachrichtlich. Was sagt man also dazu? Ein Abend mit Höhen und Tiefen, bei der es diverse Überraschungen und Enttäuschungen gab. Warum sich der gute Richard so sehr auf seine Purple-Vergangenheit besinnt, mag der Vermutung geschuldet sein, dass im Publikum doch einige diese Nummern schätzen – aber warum man deshalb solche Reißer wie „Catch The Rainbow“, „Tarot Woman“ oder den unzweifelhaft besten Rainbow-Song „Kill the King“ auslässt, das bleibt doch unerklärlich. Wir notieren einen Meister, der seine Kunst zweifelsohne beherrscht und mit besserer Songauswahl noch viel mehr punkten könnte. Machen wir dann nächstes Mal. Mit neuem Hemd.