Eddie spricht den Rütlischwur: Zürcher Geschnetzeltes mit Iron Maiden
/10.07.2018 Hallenstadion Zürich
Vom Guten kann man niemals genug haben, so oder so ähnlich formulierte das ja schon der alte Genießer Oscar Wilde. Mit dem halten wir es gerne, wenn wir das Feuerwerk, das Iron Maiden derzeit unter dem Motto „Legacy Of The Beast“ abbrennen, nochmals erleben können. Gesagt, getan. Grüzi mitenand!
„Come on, you are all German, even though you talk funny!“ Mit dieser politisch höchst unkorrekten Charakterisierung des hiesigen Publikums kommt wohl nur Bruce Dickinson davon. Aber der Herr in Rüschenkleid, der natürlich auch heute die Haare schön hat, darf das nicht nur, nein, die Aussage wird sogar humoristisch goutiert. Und so ganz nebenbei beweisen Iron Maiden, dass sie im Gegensatz zu manch anderen unsicheren Fahrensmännern (wie war das nochmal mit Guns n’Roses in Berlin? Und muss es nicht eigentlich Fahrensleute oder Personen heißen? Aber das führt doch zu weit) unweigerlich unvariabel brillante Shows abliefern, die keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigen.
Die waren auch bei uns ausgeschlossen, als wir entdeckten, dass der „Legacy Of The Beast“-Tross, den wir ja bei Tag 1 des Rockavaria schon vor der Haustür begutachten durften (unsere Postille berichtete wie üblich enthusiasmiert), nochmals in halbwegs machbarer Reichweite Halt macht. Nach einer durchaus beschaulichen Fahrt durch drei Länder, entlang des Bodensees und vorbei an diversen Universitätsstädten, die Heerscharen von Kaschmir-Pullover-Absolventen produzieren, stellen wir fest: in anderen Ländern wird die Maut-Diskussion unaufgeregter geführt als hier (bitte zahlen und Ruhe im Karton) – und Zürich ist nicht an allen Ecken hübsch. Das Hallenstadion, der Austragungsort der heutigen Ansetzung, ist eine riesige, schon 1939 erbaute Mehrzweckhalle nahe der Messe im Ortsteil Oerlikon (Pfeffikon, Oerlikon – das klingt alles nach Schlumpfhausen und nährt die Theorie, dass dieses ganze Land ein Plastik-Modell für Touristen ist, das kluge Bergbauern einst anfertigten und sich heute noch vor Lachen wegschmeißen). Dort herrscht Industriegebietflair, aber die Trambahn bringt uns äußerst kommod bis direkt vor die Halle, wo wir uns pünktlich zur Öffnung platzieren. Immerhin wollen wir ja „first to the barrier“ sein. Am Eingang riskieren wir es noch schnell, dem Souvenir- und Andenkenstand einen Besuch abzustatten (immerhin gingen wir in München leer aus, da wir zu lange zögerten), und begeben uns dann behende ganz nach vorne. Wo gerade einmal ein paar Leute rumlungern. Was sich die nächste Stunde auch nicht ändert. Offenbar wird der Schweizer an sich seinem Ruf, nicht gerade zur schnellen Truppe zu gehören, auch hier gerecht – man nimmt wohl zu Hause noch einen Aperol, bevor man anrückt. Soll uns recht sein, wir bewundern das weite Rund, in dem ähnlich wie in der Lanxess-Arena in Köln Eishockey-Spiele ausgetragen werden (hier schlittern sonst die ZSC Lions umher), wenn nicht gerade musikalische Hochlichter geboten sind. Bis zu 15.000 Schlachtenbummler finden hier Platz, die sich dann im Verlaufe des Abends dann doch auch auf ihr Plätzchen begeben werden – die Show ist, wie nahezu alle der Tour, natürlich ausverkauft.
Wie ein Schweizer Uhrwerk geht es um 19:30 dann los – und wir müssen hier und heute nicht irgendeine fürchterliche Darbietung ertragen, sondern bekommen 45 Minuten zwar nicht wahnsinnig originellen, aber dafür gekonnten Heavy/Thrash um die Ohren. Die Amis um den Creed- und Alter Bridge-Gitarrero Mark Tremonti feuern ihre Nummern beherzt ins Volk. Mit durchaus radikalem Irokesen-Schnitt und gestählter Statur greift Herr Tremonti in die Saiten und bringt uns einiges Material vom aktuellen Album „A Dying Machine“ mit. Das Gaspedal wird dabei in der Regel durchgetreten, wenig ist zu spüren vom eingängigen Radio-Rock seiner früheren Kombos: hier gilt das Motto Auf die Zwölf, schnell und kompromisslos geht das ab. „Flying Monkeys“ und „My Last Mistake“ heißen die Steuerknüppel, wobei Herr Tremonti den support slot sportlich nimmt: „Thank you for being patient with us – we have a very short set today!“ Nun ja, so kurz ist das nicht, immerhin 45 Minuten gesteht man ihnen zu, die sich dann letztendlich doch ein wenig in die Länge ziehen, weil dem Material („Throw them to the lions“, „Wish You Well“, so geht es weiter) doch ein wenig die Variationsbreite fehlt. Aber im Vergleich zu dem, was uns an dieser Stelle sonst schon so vorgesetzt wurde, war das in jedem Fall unterhaltsam.
So langsam füllt sich die Arena dann doch, die emsigen Bühnenaufbauen gehen in die letzte Runde, die Tarnnetze werden gespannt, und pünktlich um 20:30 postieren sich die Herren in Militäranzügen zu den Klängen des alten Harris-Favoriten „Doctor Doctor“. Jetzt ist dann aber doch endgültig genug mit der Schweizer Zurückhaltung: merklich voller wurde es ohnehin schon hier vorne, zu den Knarzen von Winstons Churchills „We will never surrender“, und als sie dann mit einem Krachen in „Aces High“ einsteigen, wird bei unserer Waschmaschine der Schleudergang eingeschaltet. Unglaublich nah sind wir am Geschehen, der Fotograben ist kaum der Rede wert, die gigantische Spitfire scheint direkt über uns hinweg zu schweben, als ob man gleich ins Cockpit krabblen könnte. Um uns herum wirbeln die Schlachentbummler, so dass die Hintermannschaft bis zum Ende des Songs mehr oder weniger einmal komplett ausgetauscht ist. Wir haben uns natürlich mit Sekundenkleber an der Absperrung befestigt (Sebbo berichtete hiervor ja ebenfalls schon aus München) und überstehen sämtliche Attacken von diversen launigen Freds, die meinen, jetzt könne man hier noch nach vorne gelangen. Nix gibt’s, Freunde, da hättet ihr halt keinen Aperol mehr nehmen dürfen. Bruce hüpft wie ein Springteufel durch die Gegend, die Fliegerkappe sitzt, wie auch die Gesangsleistung trotz der hohen Klippen des Songs bestechend daherkommt. In unserer Ecke agiert Daif gewohnt souverän, grinsend als Märchenonkel, oft besucht von Adrian, so dass wir das originale Maiden-Gitarren-Duo stilecht erleben, während sich Herr Gers weit entfernt seinen albernen Kaspereien hingeben kann.
Der Chef selbst verteilt seine Aufmerksamkeit paritätisch, dräut mit West Ham (oder war es doch Aston Villa?) Shirt, kurzer Hose und Sportstiefeln in die Menge und feuert eine Bass-Salve nach der anderen ab. Die explosive Stimmung gibt sich beim nun folgenden Agentendrama dann doch ein wenig – ich schwelge wieder in der Gewissheit, dass mit „Where Eagles Dare“ mein erster Maiden-Live-Song überhaupt (den sah der zarte Holgi 1983…) wieder zu Ehren kommt, während Bruce wieder Wintermantel und Fellkappe vorführt. „2 Minutes To Midnight“, eingeleitet vom Messer-Riff aus Adrians Flitzefingern, knallt ordentlich, bevor dann erst einmal durchatmen angesagt ist. Bruce begrüßt uns erst einmal, bedankt sich für die „sold out show“ und erzählt, man sei vor kurzem ja erst in Genf gewesen – woran sich dann die eingangs erwähnte sprachliche Einnordung der Eidgenossen anschließt. Aber auch hierzulande verstehe man sich ja auf die Freiheit, inmitten der lauschige Berge habe man darauf ja immer großen Wert gelegt – weltläufig ist er halt, der fliegende Historiker, der da oben das Mikro schwingt, und im weiteren Sinne zur sprichwörtlichen Neutralität passt doch „The Clansman“ ganz wunderbar, auch wenn die Schweizer den zur Abwechslung nicht erfunden haben. Bruce schwingt hier wieder ein blutiges Schwert, das auch seine Kollegen zu „spüren“ bekommen – während die Weise um den freiheitsliebenden William Wallace begeistert mitgesungen wird: „and now in Swiss!“, weist uns Chorleiter Dickinson dazu an. Wir tun unser Bestes, möglichst guttural „oh oh“ zu intonieren.
Das alte Schlachtross „Trooper“ galoppiert zuverlässig heran, Eddie in voller Light-Brigade-Montur stapft umher und schwingt den Säbel mit dem Olympia-Fechter, bevor er dann dieses Mal – natürlich – aus einer Schweiz-Fahne eine letzte Salve abfeuert. Jawohl! Dieses Stück, so informiert uns der Programmverantwortliche nun, „closes this third of the show“. Plötzlich kapiere dann auch ich, dass das ganze Vermächtnis in drei Teile aufgeteilt ist: im ersten Drittel präsentiert man in martialischer Deko mit Tarnnetzen und Stacheldraht Werke rund ums Thema Krieg (Luftkrieg, Alpenkrieg, Krimkrieg, Krieg der Knöpfe) – ah, jetzt verstanden. Die Tarnnetze werden nun abgeräumt, die Kulisse ändert sich, es entsteht die schon in München bestaunte Kathedrale mit hohen gothischen Fenstern – ab jetzt dreht sich alles um Religion, wozu das auch heute wieder wunderbar unvergleichliche „Revelations“, komplett mit aus dem englischen Kirchenliederbuch geklauten Text, einen passenden Auftakt bietet. Thematisch in die gleiche Kerbe schlägt dann „For The Greater Good Of God“, das auch heute wieder – im Gegensatz zur Konservenversion, die durchaus Längen aufweist – zum Zuhören und Staunen einlädt. Regelrecht außer Rand und Band gerät meine Begleitung dann bei „The Wicker Man“, bei dem es ja – den alten Horrorklassiker mit Christopher Lee kennen wir natürlich – um Naturkulte auf den britischen Inseln geht.
Und das nebenbei ein Hammerriff auffährt, das heute ganz massiv ins Kontor schlägt. Jetzt wandelt sich das Bühnenbild des fiktiven Triptychons dieser Konzertabfolge ein letztes Mal: blutrot wird es jetzt, mit brennenden Kandelabern, apokalyptischen Backdrops und einem Bruce, der uns mit Kapuzenumgang und Leuchtekreuz einen astreinen Van Helsing macht: „Sign Of The Cross“ läutet den letzten Teil dieser Trilogie ein, in dem offenkundig Tod, Hölle und Verdammnis die thematischen Schwerpunkte bieten. Das komplexe Gebilde zündet auch heute wieder überraschend gut und wird frenetisch abgefeiert. Atemlos geht es weiter, kaum sind die letzten Töne verklungen und die letzten Feuerstöße verloschen, wird schon der gewaltige Flügelmann emporgezogen, zu dem wir nun das ewig in der Setlist vermisste „Flight Of Icarus“ erleben. Aus nächster Nähe können wir natürlich deutlich besser beobachten, wie Bruce mit seinen Flammenwerfer-Ärmeln hantiert und das Mikro dabei zwischenzeitlich wie in einem Patronengurt wegsteckt. Das Lied ist viel zu schnell vorbei, als das man das alles ordentlich würdigen könnte, und ohnehin rast die Zeit unaufhaltsam – kein Wunder, immerhin gibt es hier wie immer keine Solodudeleinlagen, Drumgeholze, Mitsingspielchen oder sonstige Zeitschinderei, die bei anderen Formationen leider Standard sind. Schon stapft Bruce mit Karnevals-Maske, Mantel, Hut und Laterne umher und berichtet uns, dass er im Dunkeln ziemlich Angst hätte.
In der dichten, gedrängten Atmosphäre der Halle entfaltet „Fear Of The Dark“ seine magische Wirkung deutlich besser, hinter uns kommt es wieder zu massiven Rammeleien, aber wir wanken und weichen natürlich nicht. „The Number Of The Beast“ zerfließt heute wie üblich, geht aber als schiere Energieleistung in Ordnung, bevor dann das einfach stupide aber höchst effektiv hämmernde „Iron Maiden“ komplett mit Blasebalg-Monster-Eddie hinter der Schlagzeugfestung das reguläre Set beendet, wobei Bruce uns noch ganz persönlich anspricht – immerhin gehören wir heute zweifelsohne zu den „mad motherfuckers down in front“. Die harren natürlich aus, als es mit „The Evil That Men Do“ in die Abschlussrunde geht, das alte Shakespeare-Motto, das der Barde dem Marc Anton in seinem Julius Caesar in den Mund legt. Ich schaue mir den Song einfach in Ruhe an, denke an den Ausflug nach Pig City im Jahr 1988 und stelle fest, dass das Stück keinerlei Rost angesetzt hat.
Gleiches gilt für das eigentlich mausetote „Hallowed Be Thy Name“, das heute zum Highlight avanciert: atmosphärisch, dicht, mitreißend gebracht kommt diese Ballade des Todeszelleninsassen. Die Sympathisanten hinter uns laufen zu immer größerer Rammelform auf, was uns aber nicht anficht – bis der letzte Ton von „Run To The Hills“ verklungen ist, halten wir noch durch, obwohl die Kondition durchaus an ihre Grenzen kommt. Puh – was eine Attacke aus nächster Nähe! So ganz will uns Bruce aber noch nicht entlassen, sondern gibt uns noch Aufgaben auf den Weg: „In case you are interested, France beat Belgium 1:0. So tomorrow you all support England! And then it’s France versus England in the finals!” Tja, da hatte dann aber der Fußballgott (oder wahlweise die Kroaten) dann doch etwas dagegen – am Sonntag kann Bruce also in Ruhe singen und muss nicht im Pub am Fernseher hängen. Wir notieren einen erneuten Beweis, dass diese Kombo in der Form ihres Lebens ist, und wandern hinaus in Richtung Tram, die uns zurück nach Schlumpfhausen bringt. Und mal schauen, vielleicht findet sich ja noch eine Ansetzung in Reichweite…wer weiß…?
Als Schwesterevent der Finest Spirits, die sich eine Woche zuvor an gleicher Stelle dem eher hochprozentigen Vergnügen widmete, präsentierte das „Internationale Festival der feinen Biere“ mit über 100 Ausstellern einen hervorragenden Überblick über die quicklebendige Brauerszene, in der sich kecke Neukreationen und vor allem der offenkundig omnipräsente Trend zum Craft Beer einträchtig mit den etablierten Namen versammelte und eben denen mehr als einmal die Show stahl.