Die Kätzchen tanzen wieder: zwischen Abstand und Tuchfühlung mit Pussies on the Dancefloor und Bürokratic Monster im Backstage

29.08.2020 Pussies on the Dancefloor
Backstage München

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Ein Konzert! Im Backstage! Wie das? Ja, das geht. Und wenn dann auch noch Glam-Lokalmatadoren am Start stehen, nehmen wir doch nur allzu gerne Platz. Schnurr!

Da sitzen wir dann also an unserem Biertisch, von denen man im weiten Rund des Werks eine Handvoll aufgestellt hat. „Abstandskonzert“, so lautet die Devise in diesen seltsamen Zeiten, in denen das doch eigentlich unverzichtbare freudige Erlebnis inklusive Hüpfen und Schwitzen einer perfiden Angelegenheit namens Corona weichen muss. Stattdessen nehmen wir gerne die aufgeklebten Sicherheitshinweise zur Kenntnis – schön sitzen bleiben, Getränke gibt’s draußen im Biergarten, und immer auf Abstand bleiben -, die gewährleisten, dass in unserem zweiten Wohnzimmer überhaupt endlich wieder eine Darbietung stattfinden kann. Ich muss anhand unserer eigenen Seite nachprüfen, wann wir zuletzt hier weilten – tatsächlich, der Besuch im Vergnügungspark im Dunkeln mit D-A-D im Dezember 2019 (!) ist der letzte Eintrag, bevor der Lockdown zuschlug. Das hat alles etwas bizarr-postapokalyptisches, fast wartet man darauf, dass Charlton Heston hereinreitet und uns als „Narren“ beschimpft wie weiland, als er vor der kaputten Freiheitsstatue am Strand kniete. Quasi ein Hauch dessen, wie die Welt früher war, eben nur anders.

Umso erfreulicher ist es da, dass die Akteure sich die Sache nicht vermiesen lassen, sondern ganz im Gegenteil mit offenkundiger Freude ans Werk gehen: Bürokratic Monster aus München legen ordentlich los und kredenzen eine bunte Mischung aus Metal, Stoner, Grunge und Alternative, die jederzeit massiv groovt und sofort für Stimmung bei den Angereisten sorgt. Bei Nummern wie „Down on Me“ und „Change Too Late“ wirft Gitarrero und Shouter Harry sich massiv in Pose und dräut dabei, als ob er in der leider nie gedrehten dritten Staffel die Rolle des Punishers von Jon Bernthal übernehmen wolle (könnte er sofort). Am Bass liefert Phil (im feschen Mr Spock-Shirt) den ordentlichen Tiefton-Teppich und macht so mit Drummer Fabian ein astreine Rhythmus-Fraktion, auf der Jan an der Gitarre seine Riffs aufbaut. Man dankt wiederholt artig den Pussies und auch dem Backstage, wir goutieren die weiteren Stücke „Mad Max“, „Like A Stone“ und „Paragraph Insane“ sehr gerne und nehmen dann gerne zur Kenntnis, dass Fronter Harry so nah herankommt, wie das im Moment eben geht. Mit „Man Made Monster“ und dem flotten up tempo-Geschoss „Good Girls“ beschließt man nach gut 40 Minuten völlig unbürokratisch ein monstermäßig gutes Set. Bestens!

Kurze Umbaupause, die bürokratischen Monster mischen sich unsers Volk, während wir kurz den Merchandise-Stand in Augenschein nehmen, an dem es neben den obligatorischen Aufklebern und Tonträgern auch pink-plüschige Kleiderbügel und – wie passend – Gesichtsmasken im Pussy-Style gibt. Fesch. Unter einem durchaus beeindruckenden Backdrop steigen die einzig wahren Retter des Glam aus München dann auf die Bretter und legen mit „She’s a Vamp“ und „Lick it Up and Smile“ gleich veritabel los. Leo „Goldenvoice“ Lightning macht dabei zwar ohne Perücke, aber natürlich in knallenger Spandex-Hose den sympathischen Fronter, dem man gar nicht anmerkt, dass er früher mal in der Death-Ecke unterwegs war: die Screams und Shouts sitzen tadellos, ebenso wie das Beinkleid. Nächster Blickfang ist selbstredend Basser und Mastermind Ray „The Brain“ Dancefloor (durchaus interessant, welche Namen man in Bayern alles so antrifft): die Haare hat er wallig schön, und die Hose schnalzt im feschen rot-weiß-Look, das es eine Art hat. Nach einer standesgemäßen Begrüßung biegt Herr Lightning nun die ältere Ecke der Bandhistorie ab, in der man hauptsächlich Coverversionen servierte: „Jetzt spielen wir etwas, was ihr vielleicht kennt, gewissermaßen zum Reinkommen“: mit dem Bon Jovi-Doppelschlag „Living on A Prayer“ und „You Give Love a Bad Name“ ist das, was an Atmosphäre so erzeugen ist in diesem Rahmen, endgültig hergestellt. An der Gitarrenfraktion macht Phil „Fastfinger“ Fyre (ob die Namen wohl zum parodistischen Gesamtkonzept gehören? Man möchte es fast meinen) mit Flying V, Bandana und Superbock-Shirt einen schlanken Fuss, und Schlagwerker Tom „Smashing“ Timber vermöbelt die Felle im etatmäßigen Kiss-Leibchen wie sich das gehört. Der schnelle Rocker „Big Balls“ (nicht das vom AC/DC-Debüt) und „Stupid Old Child“ laufen bestens rein – wir vernehmen hier nicht nur Glam-Elemente, nein, da blitzt auch die erste Def Leppard-Phase auf, als die Herren noch erdigen Rock und nicht Stadion-Hymnen ablieferten.


Kurz rätseln wir, was sich denn hinter der spaßigen Abkürzung „FTROML“ auf der Setlist verbirgt („fuck till rest of morning light“ ist eine Theorie), dann löst sich das Rätsel in der feinen Ballade „For the Rest of my Life“, die die Kollegen mehrstimmig sehr harmonisch daherbringen. „Pussy lovers!“, tönt es nun als Intro vom Band, direkt entnommen aus der launigen Begrüßung des Stürstehers beim Titty Twister (im Film, nicht im seligen Kunstpark), und mit einem weiteren Cover folgt nun ein massiver Abriss. „You Spin Me Round“ kennen wir ja noch als One Hit Wonder der britischen Pseudokombo Dead or Alive, in der Cheffe Pete Burns (Gott hab ihn selig, er ging schon 2016 von uns) 1984 mit lockigem Haar, kleidsamer Augenklappe und sonorem Gesang unter der Ägide der Disco-Fließband-Produzenten Stock Aitken Waterman einen Welterfolg landete, bevor man in der Versenkung verschwand. Somit also alles andere als eine klassische Wahl für ein metallisches Glam-Cover, aber die Pussies reißen die Chose so beherzt runter – inklusive getragenem, von uns beherzt unterstütztem Gesangspart von Herrn Lightning -, dass die Bierbänke zum Tanzbereich werden. Immer im Sitzen, versteht sich. Absolutes Hochlicht! Beim schnellen Rocker „Edge Of The Dawn“ und der Sleaze-Explosion „Naughty Boy“ drücken die Pussies das Gaspedal weiter durch, bevor dann nach „FTROML 2“ ein Cover folgt, an dem so mancher scheitert. Aber vor allem dank Saitenhexer Taylor Riff (angeblich ein Nachfahre von Marty McFly, aber wir wissen es besser: er ist Ehrenchef beim Metalclub Childs Of Fire) zelebrieren sie „Sweet Child Of Mine“ derart stilecht, dass man den guten Slash fast schon in Persona präsent wähnt. Großen Respekt, Herr Riff! „Cherry Pie“ bringt dann gottlob kein Cover des unsäglichen gleichnamigen Warrant-Machwerks, sondern wieder eine Eigenschöpfung, bevor dann das schnelle „Pussies take them everywhere“ und das spaßige „Granny Panties“ den regulären Reigen beenden. Lange bitten lassen sich die freundlichen Herren aber nicht und feuern mit einem schmackigen „Heaven Is A Place On Earth“ eine weitere zünftige Abdeckungsversion raus, die eines der zauberhaftigsten Lieder der 80er neu aufpoliert, bevor dann mit dem unverzichtbaren „Pussies On The Dancefloor“ die Sause endgültig beendet wird. Was sagt man also? Bemerkenswert ist hier gleich manches: zum einen, dass man trotz nicht zu verkennender Parallelen weit weg davon ist, eine Steel Panther-Neuauflage zu sein – das wissen die töften Eigenkompositionen und die bewusst überraschend gewählten Covers weidlich zu verhindern. Auch überraschend, wie gute Stimmung trotz der doch reichlich seltsamen Begleitumstände aufkommt. Und zu guter Letzt nehmen wir noch wohlwollend zur Kenntnis, dass trotz nicht gerade lauschigem Wetter der Nachtbiergarten ordentlich besucht ist. So fassen wir Zuversicht, dass in Münchens wunderbarem Kultur-Aushängeschild Backstage doch langsam wieder Leben einkehrt – auch dank der Band, die nach eigenem Bekunden gerne Miau sagt.