Schätze im Eiskeller und Tasten am Experimentiertisch: wir besuchen die Brennerei Ziegler

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Warum in der Ferne tasten, wenn das Gute so nahe liegt? Die Brennerei Ziegler liefert bekanntlich mit dem Aureum 1865 einen formidablen Beitrag zur heimischen Malt-Szenerie – und nachdem die Herrschaften gar nicht weit weg von einem unserer Außenposten zu finden sind, statteten wir dem Traditionshaus nun endlich den lange überfälligen Besuch ab. Wieder galt das Motto der Gardine mit der Goldkante: es lohnt sich!

Familienfeste haben doch immer etwas Heimeliges. Da trifft sich die in alle Winde verstreute Gemeinschaft, was man nicht nur zu den üblichen Highlights wie Kaffeetafel und Häppchen ummünzen kann: nein, eine ganz besondere Abordnung von kühles Zeug, verstärkt von Gastkorrespondentin und ebenfalls von der Materie begeistertem Fotograf, nutzte die Gelegenheit für einen kulinarischen Ausflug. Der führt uns ins beschauliche Freudenberg am Main, einem hübschen Beispiel für Fachwerkhaus-Romantik, das mit seinen 3.800 Einwohnern schon zu Baden-Württemberg zählt, auch wenn wir uns sprachlich hier noch bestens verständigen können. Die Liegenschaften der Brennerei Ziegler wirken auf den ersten Blick eher überschaubar, zeigen sich im Verlauf unseres Besuchs allerdings als durchaus weitläufig und auf verschiedene Gebäude verteilt. Bei arktischen Temperaturen kürzen wir unsere erste Runde über den Hof ab und klingeln direkt beim Shop, wo man uns alsbald freundlich empfängt und einlässt. Wir bestaunen schon einmal die verschiedenen Brennblasen und auch diverse Apparaturen in einem großen Glaskasten (dazu später mehr), als uns Destillateurmeister Paul Maier auch schon mit auf die Reise durch die Welt der Zieglerschen Brände nimmt. Maier, der vor elf Jahren als Lehrling im Betrieb begann und seit 2017 hochoffiziell geprüfter Meisterbrenner ist, erläutert uns in der lauschigen Lounge mit Sesseln (nehmen wir gerne) und Zigarrenregal (brauchen wir eher weniger, aber jeder wie er mag) zunächst ein paar Hintergründe. Mit 17 Vollzeitmitarbeitern stellt man vor Ort pro Jahr 45.000 Liter Destillat her, die abgefüllt in 135.000 Flaschen den Weg zum geneigten Publikum nehmen. Mit 65% Anteil machen die Obstbrände dabei immer noch das Gros der Produktion aus – nicht umsonst avancierte der Name Ziegler mit dem Wildkirsch No. 1 zum Qualitätsbegriff in der Spirituosenwelt, wobei der Verkaufsschlager in diesem Metier eindeutig der Williams Birnenbrand ist.

 

Um sich ein weiteres Standbein aufzubauen, das auch Klientel rechts und links neben der Obstbrand-Fraktion anspricht, verlegte man sich 2008 auch auf die Whisky-Kreation (nachdem man 2005 zum 140jährigen Jubiläum des Hauses, das ursprünglich als Brauerei gestartet war, schon mit einem Bierbrand experimentiert hatte, dessen Herstellung ja bekanntlich nicht endlos von der Whisky-Erzeugung entfernt ist). Auf einer umfangreichen Schottland-Tournee, bei der man sage und schreibe 29 Brennereien aufsuchte, verschaffte sich das Ziegler-Team einen Eindruck aus erster Hand, bevor es dann auch in Freudenberg daran ging, die berühmten „three main ingredients“ zum Lebenswasser zu veredeln. Wobei man hier den ersten Schritt der Maischung überspringt und sich die Maische von der Brauerei Krautheimer nahe Würzburg anliefern lässt, um sich voll und ganz aufs Brennen und Lagern zu konzentrieren. Auf ein weiteres Charakteristikum der Methode Ziegler weist Paul auch eigens hin: zwar verwendet man wie üblich ein Doppelbrandverfahren mit zwei Brennstufen auf der Pot Still, aber im Gegensatz zu den in Schottland üblichen Trilogie der Abschnitte des Spirit (die uns dort sehr lyrisch immer wieder als „heads“, „heart“ und „tails“ beschrieben wurden) kommt bei Ziegler ausschließlich der „middle cut“ zur Verwendung. Im Ergebnis steht somit ein sehr reiner „new make“, der auf der einen Seite sehr mild und ausgewogen ist, aber naturgemäß nicht den ausladenden Körper und mächtigen Charakter manch anderer Destillate aufweist, in denen die nochmals gebrannten anderen Abschnitte wandern. Gebrannt wird in den gleichen Stills abwechselnd Obstbrand und Whisky – eine regelmäßige gründliche Reinigung der Kupferblasen macht‘s möglich. Ganz hinten im Labor verbirgt sich aber dann doch noch eine weitere, eigene Pot Still, in der die neueste Errungenschaft des Hauses entsteht: seit 2015 hat man sich mit Gin auf ein weiteres, durchaus populäres Feld verlegt. Ziel dabei war es, einen ausgewogen-fruchtigen Geschmack zu kreieren, der insbesondere im Zusammenspiel mit jedem Tonic funktioniert. Der G=in³ (mit Hilfe der hinzugefügten Lautschrift sprechen wir das artig richtig aus: „Gin Dry“) funktioniert dem Vernehmen nach bestens und schlägt somit in die gleiche erfolgreiche Kerbe, die unter anderem auch die progressiven Hebriden-Brenner von Bruichladdich mit ihrem Botanist bearbeiten. Als kleine Vorschau dürfen wir dann auch schon einen Blick auf den Rum erhaschen, der derzeit noch „auf Fass“ liegt und den Paul Maier eventuell noch im Sherry-Fass ausbauen will – wir werden uns überraschen lassen.
 


Einstweilen machen wir uns aber nun auf dem Weg zu einem kleinen Rundgang über das Gelände, der uns zunächst aufs Dach führt. In diversen großformatigen Bottichen wird dort nämlich das Frischobst gelagert, das als Basis für die entsprechenden Brände dient. Bis zu 800 Tonnen können dort oben verstaut werden, die man bevorzugt aus heimischen Gefilden bezieht – so etwa stammt die Zwetschgen-Ausbeute fast vollständig aus Anbau aus der Nachbarschaft. Paul erläutert, dass man für die optimale Vergärung der Früchte akribisch allen Abfall, also Stiele, Kerne und sonstiges Material, entfernt und dann im Kaltvergärungsprozess eine Idealtemperatur von 18 Grad hält, was die goldene Mitte zwischen hochwertigem Alkohol und geschmacklicher Intensität liefert. Etwas wärmer wird uns dann wieder in der Verpackungs- und Versandzentrale: auf wenigen Quadratmetern werden die Flaschen – für deren charakteristische Form man im Übrigen die weltweit geschützten Rechte innehat - hier abgefüllt, von Hand verschlossen und mit den einzelnen Labels versehen, die teilweise zusätzlich von Hand beschriftet werden (sofern es sich um eine speziell bestellte Edition handelt). Jetzt aber auf zu den Schätzen selbst! Wir schlendern kurz über die Straße, wo Paul nun zunächst ein harmlos aussehendes Holztor öffnet – wir staunen nicht schlecht, als sich dahinter zuerst einmal ein stählernes Rolltor verbirgt: urig soll es aussehen, aber eben auch sicher sein, das warehouse, das wir nun betreten. Hier stapeln sich fein säuberlich auf Regalen über 400 Fässer, die aus Deutschland, Frankreich, Ungarn und den USA stammen, wobei man insbesondere das Kastanienholz als Spezialität pflegt, was ja auch in der Chestnut-Edition des Aureum zum Ausdruck kommt. Ein Fass weist eine Glasscheibe auf: hier, so erklärt uns Paul, ruhte die erste Ausgabe des „Guitarist“, komplett mit dem Gitarrenkorpus, der mittlerweile zu einer einsatzfähigen Bühnengitarren für den originalen Eisenfinger Axel Ritt ausgebaut wurde, dem Saitenhexer der deutschen Metal-Recken von Grave Digger, unter deren Flagge es mittlerweile schon zwei Ausgaben des Aureum zu haben gibt. Die Fässer werden überwiegend als „first fills“ nur einmal benutzt, wie man auch auf jegliche künstliche Färbung des Destillats verzichtet. Ab einer Stärke von 46% bleibt auch die Kühlfilterung lobenswerterweise komplett außen vor. Einige Schritte weiter das gleiche Spiel: ein harmloses Holztor, dahinter professionelle Verriegelung und Blick auf weitere Preziosen, mit denen man auf insgesamt 850 Fässer kommt, in denen das Destillat in der Obhut der Brennerei-warehouses seiner Perfektion entgegenreift. Wir wollen schon wieder in den Hof abbiegen, da kündigt Paul noch ein echtes Highlight an. Wir folgen durch den nächsten niedrigen Eingang und befinden uns plötzlich in einem in den Berg gebauten Kellergewölbe, das früher als Eislager fungierte. Hier ruhen in großen, bauchigen Flaschen nun die ganz großen Kostbarkeiten: ausnahmslos historische Edelbrände werden hier aufbewahrt, deren Jahrgänge bis sage und schreibe 1924 (!) zurückreichen. Immerhin 50-100 Flaschen pro Jahr werden von diesem noblen Stoff abgefüllt und verkauft – auf konkrete Nachfrage und Bestellung, versteht sich. Zutiefst beeindruckt wandern wir wieder zurück ins Haupthaus, wo wir noch in die Geheimnisse der Brandweinsteuer eingeweiht werden. Wie die meisten Destillen arbeitet auch Ziegler als Verschluss-Brennerei, was bedeutet, dass der Alkohol im Moment seiner Entstehung unter Verschluss gehalten wird – daher der Glaskasten, hinter dem die tatsächliche Erzeugung des Destillats von statten geht: in Schottland löst man das bekanntlich durch die spirit safes, die ebenfalls durch mannsgroße Schlösser geschützt sind. Hier erfasst ein unbestechlicher Zähler die dann tatsächlich entnommene Menge an Alkohol, die im Moment des Verkaufs dann mit Brandweinsteuer belegt wird. Wartungs- und Säuberungsarbeiten dürfen nur unter Aufsicht eines Steuerbeamten erfolgen – womit das Mysterium des Glaskäfigs auch gelöst wäre.

Der Worte sind aber nun frei nach dem alten Goethe genug gewechselt, lasst uns jetzt Geistreiches sehen! Besonders interessiert uns natürlich alles, was es exklusiv nur hier vor Ort zu bestaunen gibt, weshalb wir uns den Distiller’s Choice näher ansehen, den es nur hier im Shop und auf Messen gibt – um, so erklärt uns Paul, immer die Möglichkeit zu haben, den Tropfen näher zu erläutern. Hier haben wir nämlich eine Edition vor uns, in der das Brennerei-Team um Paul schlicht und ergreifend ihren ganz persönlichen Favoriten umsetzt. 2011 wurde dieser Vertreter gebrannt und bis 2017 gelagert, wobei in dieser speziellen Ausgabe jeweils zur Hälfte Eichen- und Kastanienfässer als Heimstatt  gedient hatten. Im Geruch tritt uns ein stark fruchtiger Charakter entgegen, während der Brand in satter Bernsteinfarbe prächtig im Glas steht. Trotz der durchaus mächtigen 48% wirkt die Distiller’s Choice auf der Zunge mild, ausgewogen und floral, wobei eine gewisse süße Würze durch die Eiche wohlig mitspielt. Gefällt uns sehr gut! Unsere Suche nach exklusivem Material führt uns nun an den Experimentiertisch, wo man gestern noch einige neue Kreationen auf den Prüfstand stellte, die das Licht der Welt noch gar nicht erblickt haben. Wir dürfen davon einen Kollegen probieren, der seit 2011 in einem Rotweinfass lagert, mit stolzen 54% aufwartet und dennoch dank der Lagerung sehr ausgewogen und fruchtig auftritt. Man könne sich gut vorstellen, diese Ausgabe in 52 exklusive Flaschen abzufüllen, die hübsch verziert schon bereitstehen, verrät Paul. Sehr gut gefällt uns dann auch 2012er, der sechs Jahre lang im Portweinfass ausgebaut wurde – die 62% bringen ordentlich Schwung, worauf wir ein wenig über die ewige Frage diskutieren, ob der berühmte Tropfen Wasser denn nun angebracht ist oder nicht. Die Meinungen darüber gehen auseinander, aber Fakt ist: schon eine kleine Wasserzugabe ändert Konsistenz und Geschmack gewaltig. Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass sich auch dieser Tropfen sehr vielversprechend anlässt.

 

Wir schnuppern noch ein wenig an einem Madeira und an einem Sherry-Ausbau, die noch „works in progress“ sind, bevor wir uns dann einem Vergleich von Himbeerbrand und Himbeergeist widmen und die Unterschiede in der Herstellung erfahren dürfen (für den Brand wird die Frucht selbst vergoren, für den Geist wird der Fruchtsud mit Fremdalkohol angesetzt, was jeweils deutlich unterschiedlichen Charakter erzeugt). Den krönenden Abschluss macht dann eine exklusive Vorschau auf die zweite Auflage des Guitarist, die dann nach Inspirateur Ritt direkt unter der Bezeichnung Iron Finger firmieren soll und ab Juni in den Regalen steht. Auf dem Fass liegt er schon seit 6 Jahren, der Flitzefinger, und bringt es auf mächtige 68% - heavy metal indeed! Insgesamt sind drei Varianten vorgesehen, für die Edition 2.0 wurden Gitarrenkorpuselemente aus Sumpfesche und Kastanie mit eingelagert, die im Anschluss in echte Bühneninstrumente für Herrn Ritt weiterverarbeitet werden sollen. Wir notieren die zutiefst dunkle Farbe und einen ausgesprochen milden Geschmack, die im Zusammenspiel den Guitarist 2.0 zu meinem persönlichen Highlight des Besuchs avancieren lassen. Wenn die eingangs erwähnte Kaffeetafel nicht rufen würde, wären wir mit Paul wohl noch einige Stunden sitzen geblieben – so aber statten wir dem gut sortierten Shop noch eine Visite ab, lassen uns eine Flasche Distiller’s Choice persönlich zueignen und verabschieden uns dann von der sympathischen Crew, die uns einen mehr als herzlichen Empfang und einen faszinierenden Blick hinter die Kulissen ermöglicht hat. Wir können nur sagen: zur Nachahmung empfohlen!