Stadionrock unterm Zeltdach: Kissin‘ Dynamite und Scavanger eröffnen die Tanzsaison

04.09.2021 Kissin’Dynamite & Scavenger
Backstage München


Bring back stadium Rock! Nie war dieses Ansinnen wichtiger als dieser Tage – und es gelang den schwäbischen Helden noch formidabler, als man zu hoffen wagen durfte. Deshalb nichts wie hinein ins Open Air-Zelt mit Kissin‘ Dynamite!

Oben steht er, wie weiland Klaus Meine auf dem World-Wide-Live-Album, auf den Haxen seiner Mitstreiter, und ruft uns entgegen: „Diesen Abend nehmen wir in die Ewigkeit mit!“ Und wir glauben es ihm gerne, denn Hannes Braun hat gerade mit seinen Jungs aus Schwaben einen astreinen Abriss hingelegt, der sich endlich wieder mal ungefähr so angefühlt hat wie ein Konzert vor der ganzen unseligen Zwangspause. Denn die Ansetzung von Kissin‘ Dynamite war ja eigentlich als eines der Abstandskonzerte angesagt, mit denen sich Locations wie das Backstage eben in die Umstände fügten und zumindest ein wenig Live-Flair verbreiteten. Aber dann kam kurzfristig am Donnerstag der neue Blumenstrauß mit Regelungen und damit ein Hauch Freiheit: dank 3G (und hier ist nicht der selige alte Mobilfunkstandard gemeint) dürfen nun, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wieder mehr Schlachtenbummler eingelassen werden. Und die Arena Süd, die das Backstage quasi als hauseigenes Open Air Zelt gebastelt hat, passt hierzu natürlich bestens, weshalb neben den schon gewohnten Bierbänken ganz kurzfristig auch Stehplätze feilgeboten werden konnten. Nach einem Einlassprozedere, in dem man zeigen darf, ob man eines der drei Gs erfüllt – hier ist man lobenswerterweise durchaus gründlich – wandern wir also ins Zelt und lassen uns alsbald mehr oder weniger in der ersten Reihe nieder. Front Row Seating, gewissermaßen, während sich auch der Stehbereich, der vor der Bühne mittig eingerichtet ist, ansehnlich füllt. Man ist schon gar nicht mehr gewohnt, in Gegenwart anderer Menschen eine Darbietung zu erleben, und so sind wir mehr als erfreut, als die Rosenheimer Lokalmatadoren von Scavanger die Bühne entern, auch wenn das schon um 19 Uhr ist.

Konnte ja keiner wissen, dass auch die Sperrstunde nicht mehr gilt – aber das gibt uns die Chance, vielleicht später das Gelände noch weiter zu erkunden. Die Rosenheimer Jungs um Fronter Anian Geyer steigen mit „Chimera“ schmackig ein und kredenzen uns dann für immerhin eine halbe Stunde eine launige Mischung aus klassischem Hard Rock und Biker-Sound, der mit den weiteren Nummern „Boss Hoss“, „Menace“, „Open Up“ und „No Man’s Land“ mehr als gut reinläuft. Die Zeit vergeht im Fluge, und so verkündet Herr Geyer dann alsbald „Wir sind froh hier gewesen zu sein!“ Ganz unsererseits, die Herren, wir sehen uns.

In der kurzen Pause, während derer ein ordentliches Backdrop mit dem Schriftzug der kommenden Attraktion gehisst wird, schauen wir uns weiter um und entdecken neben vielen Kutten auch den DJ eines weidlich bekannten Metal-Clubs, den auch wir schon oft beehrten – mit Bandshirt, versteht sich. Sehr ordentlich! Neben den 400 ausgewiesenen Sitzplätzen schätzen wir die Schar mal mit weiteren 250 Stehgästen auf irgendwo zwischen 600 und 700, was angesichts der vorigen Formate ja fast schon überwältigend ist. Wunderbar! War bei Scavanger die Stimmung schon ordentlich, schnellt der Pegel jetzt vollends in die Höhe: als Kissin‘ Dynamite auf die Bühne springen und mit „I’ve Got
The Fire“ und „Somebody’s Gotta Do It“ ordentlich loslegen, bricht Begeisterung allenthalben aus. Man merkt schier, wie lange man dieses echte Live-Feeling vermissen musste, und wie nötig dieses rituelle Gemeinsamerleben als Ventil doch ist. Und das geht offenkundig auch den Herren auf der Bühne so: Hannes demonstriert uns freudig, wie er vor lauter Verzückung Gänsehaut bekommt. Das ist doch schön, und vor heller Begeisterung schaltet er prompt das Mikro aus.

„Das ist ja fast wie in der guten alten Zeit!“, stellt er verzückt fest, und auch die Mitstreiter Andre Braun und Jim Müller an den Sportguitarren scheinen das so zu sehen: Grinsegesichter allenthalben, die sich mit „Love Me“, dem wahrlich mächtigen Groove-Monster „DNA“ (der Text so feinfühlig zurückhaltend wie Steel Panther, bestens!) und „Sex Is War“ immer mehr verbreitern. Die Menge geht zunehmend steil, wobei fröhliche Gelassenheit und Freude herrscht, dass das alles wieder geht. Gar nicht so einfach sei das gewesen in den letzten Monaten, erzählt uns Hannes dann, und nicht nur wegen dieses vermaledeiten Virus, sondern auch wegen des Weggangs des Originaldrummers Andi Schnitzer. Aber mit Sebastian Berg hat man mehr als adäquaten Ersatz gefunden, mit dem es dann im Januar auch ein neues Album zu bestaunen geben wird (wofür Hannes sofort Vorbestellungen entgegennimmt). Aber die erste Single ist ja schon seit einiger Zeit auf den einschlägigen Strömungsdiensten verfügbar, weshalb „Not The End Of The Road“ schon sattsam bekannt ist und hervorragend reinläuft. „Sleaze Deluxe“ bietet Futter aus der früheren Bandhistorie, „Breaking the Silence“ kracht als massiver Headbanger ordentlich ins Kontor, bevor dann – so gehört es sich für ordentlichen Stadium Rock – ein Klafünf mit schicker Kerzenbeleuchtung (natürlich elektrisch) herbeigerollt wird, an dem Hannes, begleitet von akustischer Gitarrenuntermalung, die etatmäßige Ballade „Heart Of Stone“ abfeiert, wobei die früheren Feuerzeug-Schwenkungen mittlerweile von Handtelefonen ersetzt sind. Was diese Unsitte nicht besser macht, aber egal. Bei „Waging War“ schwenkt Hannes dann eine große Fahne, wie das auch Frau Gluz bei Arch Enemy immer vormacht, bevor man dann mit „Six Feet Under“ das nach eigenen Worten eher untypische Radio-Debut zu Gehör bringt, wozu dann mit den Grönemeyer-Winkearmen gleich die nächste Konzertunart zum Tragen kommt. Leute! Das macht man bei Coldplay, aber nicht hier!

Egal, das können wir ja jetzt wieder üben, wie man das ordentlich macht. Mir ist das spätestens jetzt eh schnuppe, weil man einen silbernen Thron auf die Bühne bugsiert, den Hannes mit Umhang und Zepter alsbald erklimmt (wobei meine Begleitung bei der Auswahl des Fummels gerne ein wenig Fashion Advice anbieten würde): „I Will Be King“ markiert nach meinem bescheidenen Dafürhalten das Hochlicht des Abends. Sauber! Kurzer Break, dann weiter im Text mit den Zugaben: „Still Around“, das ultimative Mitsingfeelgood-Stück „You’re Not Alone“ und das abschließende „Flying Colours“ setzen nochmal ordentliche Ausrufezeichen. Wir wandern hinaus und haben die Gewissheit, dass das aber sowas von überfällig war – ein ganz dickes Danke damit auch an unser zweites Wohnzimmer Backstage, das diese schwere Zeit durchgehalten hat und sogar mit einigen Neuerungen aufwarten kann, die wir uns jetzt noch zu Gemüte führen: das Areal lockt nämlich mit deutlich erweitertem kulinarischen Angebot, das wir im Nachtbiergarten noch ausführlich zur Kenntnis nehmen. Wenn das mal nicht eine gelungene Angelegenheit war! Wir kommen wieder, keine Frage!!