Einmal große Freiheit und zurück: Iced Earth, The Charm The Fury, Stormhammer und Scavanger sind free, easy – und heiß!

23.07.2017
Backstage München
Free & Easy Festival
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Jon Schaffer gibt sich gerade in unseren Breiten gerne die Ehre, gerade erst im Dezember schaute er bei uns vorbei. Mit einem fetten Paket aus vier Kombos und mit neuem Album „Incorruptible“ im Gepäck sagen wir dazu ebenso häufig gerne: da sind wir dabei. Something wicked this way comes? Wir werden sehen!

„So this is free and easy“, sinniert ein sichtlich von den Reaktionen beeindruckter Stu Block. „This would call for a lot of sexual jokes, but I am simply too tired for that”. Das hat der Iced Earth-Fronter doch genau richtig erkannt, das mit dem frei und einfach. Denn zu den feineren Traditionen in der Münchner Konzertszene gehört zweifelsohne das Free And Easy Festival, im Rahmen dessen im gesamten Backstage-Areal Konzerte, Kleinkunst, Ausstellungen und sonstige Events wie der Name sagt for free bestaunt werden können – und das komplett ohne Zuschüsse oder sonstige Hilfestellungen. Dabei werden stets durchaus hochkarätige Attraktionen aufgeboten – in diesem Jahr geben sich während der 17 Free And Easy-Tage (läuft noch bis 05. August!) Namen wie Blues Pills, Prong, Psychopunch, die Emil Bulls, Madball, Death Angel und eben auch Iced Earth die Ehre. Jon Schaffers Rekrutenmannschaft erlebten wir erst im Dezember am gleichen Austragungsort, wo das Ganze aufgrund eines doch eher undifferenzierten Sounds und nicht gerade überbordender Agilität der Akteure nicht die wirklich ganz große Sause war. Aber wir lassen uns gerne überraschen und pilgern wieder in Richtung Werk, um festzustellen, dass vor den Toren schon eine veritable Schlange auf Einlass wartet. Grundprinzip beim Free And Easy: Plätze gibt’s, solange Vorrat reicht, vorausschauende Zeitgenossen besorgen sich daher ein Einlassgarantie-Ticket, das im Vorfeld für kleines Geld zu haben ist (fürs Werk 13 Euro, für das restliche Gelände 7 Euro, jeweils inklusive 2 Getränkegutscheinen) und das dann bis 20.30 sicherstellt, dass man nicht das Nachsehen hat.

Scavanger

Scavanger

Bunt geht es immer dabei zu, man müht sich um eine Mischung aus Hard’n’Heavy, Punk, Ska und Hip Hop – so auch heute, denn neben US-Powermetal im Werk gibt es nebenan in der Halle die launigen Österreicher von Turbobier zu bestaunen, was sich im Publikum in manch bunter Frisur äußert. Wir wandern allerdings schnurstracks Richtung Werk, wo die Recken von Scavanger schon die Fahne des Old School Sound hoch halten. Die Jungs aus Rosenheim fabrizieren astreines klassisches, sehr melodisches Material, unter anderem vom zweiten Album „Rise Of The Scarab“, das auch textlich was hermacht und teilweise auf den Discworld-Romanen von Terry Pratchett beruht. Gleich drei Gitarren sind am Start, Anian Geyer am Mikro macht uns mit Kopftuch und Sonnenbrille einen mehr als passablen Paul Quinn-Lookalike, und die schon zahlreich anwesenden Publikumsscharen animieren die Herren sogar zu einer Zugabe: passend zum gleichnamigen Festival gibt’s noch „Heavy Metal’s Calling“ auf die Ohren – mit Fug und Recht, immerhin sind die Kollegen die Organisatoren dieses Events, der alljährlich im Backstage über die Bühne geht (dieses Jahr waren am 18.02. unter anderem Crystal Ball und Stormhammer dabei, man kennt sich eben). Top Job, die Herren, zu früher Stunde gleich alles richtig gemacht und einen blitzsauberen Auftakt geliefert.

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Die Taktung passt in jedem Falle, stellen wir fest, es dauert nicht lange, und schon machen sich die Lokalmatadoren von Stormhammer emsig an den Soundcheck. Die Mikroprüfung übernimmt dabei einer, der irgendwie nicht unbedingt nach Powermetal aussieht: richtig, das ist doch Matthias Kupka, eigentlich in Diensten der melodischen Deather Emergency Gate, der hier ganz kurzfristig (nach nur 2 Proben, wie er uns nachher gleich informiert) das Mikro von Jürgen Dachl übernahm. Ebenso beachtlich ist die Garderobe von Basser Horst Teßmann, der mit flammendem Beinkleid gleich mal ein ordentliches Fashion-Statement abliefert. Nachdem alle technischen Hürden überwunden sind, werfen sich die Münchner Kraftmetaller ins Set, durch das sich Herr Kupka mehr als achtbar schwingt, wobei er sich den einen oder anderen Grunzer nicht verkneifen kann. Passt aber bestens, zumal er auch die launigen Ansagen aus dem Publikum amüsiert aufnimmt – als er am Bier nippt, schallt ihm ein „Anstoßen, Du F…ze!“ entgegen, das er launig mit „ah, das klingt nach einem Blauen“ fußballerisch-rivalisierend kommentiert. Auf dem Spielplan steht einiges Material vom aktuellen Album „Welcome To The End“, wie auch das ordentliche „Road To Heaven“, das sie jetzt ins Rund zimmern. Auch wenn wir ein homogenes Erscheinungsbild nicht unbedingt auszumachen vermögen – Matthias sticht doch etwas hervor, Feuerhosen-Horst wirkt hünenhaft, und Mannie Ewender scheint in der Hitze der Nacht fast zu zerschmelzen -, sorgt die Darbietung dennoch für den ersten ordentlichen Moshpit, in dem sich doch auch viele junge Gestalten tummeln. Großen Respekt in jedem Fall für Herrn Kupka, der sich die Texte auf die Boxen gepappt hat und sich mit diesem Kniff überraschend trittsicher durchs Set hangelt. „Holy War“ („den Songtitel hat aber auch jede Band!“, kommentiert Texte-Bibliothekar Sebbes treffend) klingt mit seinem tiefergelegten Organ wahrscheinlich sogar besser als mit den üblichen powermetallischen Überschallfrequenzen, bevor es dann mit „Welcome To The End“ und „The Law“ auf die Zielgerade geht – wozu offenbar einige Emergency-Gate-Fans einen noch massiveren Moshpit eröffnen. Bunte Truppe, launige Darbietung, und jede Menge Mumm auf Seiten des Fronters. Respekt!

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Jetzt wird es dann gleich noch spannender: die nun folgenden The Charm The Fury sind bereits als Support für Eluveitie und Amaranthe im November angekündigt, was uns schon mal grundsätzlich neugierig macht. Auch diese Kombo legt beim Aufbau selbst Hand an, allen voran Frontfrau Caroline Westendorp, die im neckischen Netzhemd die Bühne offenbar im Alleingang herrichten will, bevor ihr der Gott des Donners selbst zu Hilfe eilt – in jedem Fall sieht der blondmähnige Gitarrero Rolf Perdok dem guten Chris Hemsworth durchaus gleich und singt als Mikrocheck passabel „take these broken wings“. Erwartet uns hier nun ein symphonic metal-Ausritt oder eher eine etwas andere Spielart? Die ersten Takte zeigen gleich mal, wo hier der Hammer hängt: keine Spur von Säusel-Else, nein, hier gibt es Metalcore auf die Ohren, versetzt mit melodischen Einsprengseln. Der Sound fabriziert eine kompakte Dampframme, der Hitzepegel – kurzes Beinkleid war erneut obligatorisch, mit und ohne Flammen – springt in ungeahnte Höhen, und auch das Publikum zeigt sich runderneuert: offenbar gibt der eine oder andere Hardcore- und Punk-Sympathisant den Holländern den Vorzug.

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Entsprechend beeindruckt zeigt sich Frau Westendorp: „Well, I did not expect this“, würdigt sie das volle Haus, das die angenehm ruppige Abfahrt mehr als goutiert. Schwere mid-tempo-Groover wie „Colorblind“ reißen alles um, während die zierliche Caroline keift wie ein enervierter Rottweiler. Die Menge dankt diese enorme Spielfreunde und Energie mit einem veritablen circle pit, den auch die tropischen Temperaturen nicht stoppen – „holy shit, it’s hot in here!“, aber das kennen wir ja mittlerweile als Normalzustand. „No End In Sight“ führt dann zu einem Monsterpit, zu dem Basser Lucas Arnoldussen den geborenen Animateur gibt. Die massive Wall of Sound drückt einen schier an die Wand – „ich glaube, da kommt keine Ballade mehr!“, wagt Stilanalyst Sebbo eine treffsichere Prognose. Nein, vielmehr laden uns die Herrschaften nun zu einer Wall of Death ein, die vom wilden Mob auf dem Parkett nach allen Regeln der Kunst vorgeführt wird. Herr Perdok zerrt nun mit einigen Anleihen an „Seek And Destroy“ die Butter vollends vom Brot – wie soll der Powermetal eines Herrn Schaffer das noch toppen? Das wird nicht leicht für den guten Jon, so viel steht fest. Mit „Carte Blanche“ drehen sie das Gas nochmal massiv auf, als ob das noch erforderlich wäre, und entlassen uns durchaus staunend. Wir hoffen, dass sich der Tross vom November vorher angeschaut hat, wen sie denn da mit auf Gastspielreise nehmen – hier und heute haben The Charm The Fury in jedem Fall eine massive Schneise geschlagen. Hossa!

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Wie schon im Dezember, als Ensiferum die Ehre des Supports hatten, vollzieht sich im Publikum jetzt ein schnelles Bäumchen Wechsel Dich-Spiel: hinfort die jungen Wilden von der Hard- und Metalcore-Fraktion, herein mit den Kuttenträgern leicht gesetzteren Alters. Die Bühne wird nun a) nicht mehr von der Band selbst aufgebaut und b) merklich größer, mit Drumriser (an dem eine Anonymus-Maske hängt, ihr wisst schon…) und allem, was dazugehört. Schon der Soundcheck zeigt, dass es nun um einige Phon mächtiger wird – will man etwa durch reine Brachialität überzeugen? Das hoffen wir doch nicht, und als es nach einem kurzen Intro zu tiefroter Beleuchtung mit „The Great Heathen Army“ vom aktuellen Langeisen „Incorruptible“ dann zur Sache geht, sind wir eines Besseren belehrt und äußerst entzückt. Der Sound ist kraftvoll, tight und dennoch transparent – das aggressive, charakteristische Riffing kommt ebenso zur Geltung wie die melodischen Elemente, die im Dezember noch irgendwie abgesoffen waren. Meister Schaffer dräut wie gewohnt finster, mit schwarzem Kopftuch, Bikerkutte mit Bandlogo und Schuhen vom letzten Baustelleneinsatz. Stu Block schwingt sich, mit Armmanschette und baugleicher Kutte, treffsicher ebenso durch die Höhen wie durch die Niederungen – „der singt einfach alles“, stellt Vokaltrainer Sebbes später fest. Insgesamt geben sich die Florida Boys um Geschäftsführer Schaffer heute deutlich spielfreudiger, agiler und vor allem bestens aufgelegt: Basser Luke Appleton, bei dem man letztes Jahr nicht eindeutig sagen konnte, ob er überhaupt freiwillig da war, wirft heute sein schütteres Haupthaar komplett in die Bresche, Mr Block fuchtelt, animiert und jubiliert, und die von Anfang an begeisterten Zuschauerreaktionen lösen auch im Chef selbst offenkundige Genugtuung aus.

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„So muss Iced Earth klingen!“, konstatiert Mixer Sebbes, was auch Jon Schaffer wohl so sieht und sich sogar zu einem Lächeln hinreißen lässt. Ehrlich! „Burning Times“ hält die Energie weiter oben, mit „Declaration Day“ und „Plagues Of Babylon“ geht der Reigen fröhlich weiter, bevor uns der gute Stu befragt: „Do you want something evil?“, worauf es zurückschallt: „Pure Evil!“ „Massive spoiler alert!“, feixt der Herr, denn natürlich steht nun diese mächtige Abrissbirne auf dem Programm. Zur Widerstands-Hymne „V“ dürfen wir dann alle das Victory-Zeichen machen – der Anonymus am Schlagzeug verweist auf den Hintergrund in Alan Moores finsterer Comicsaga „V For Vendetta“ -, als dann auch Stu die Temperaturen würdigt: „Are you guys as hot as we are? Then this is an even distribution. Let’s sweat this fucker out!” Wie auch immer das gehen mag, aber mit „Seven Headed Whore“ feuern sie ein weiteres Geschoss von „Incorruptible“ in die Menge, bei dem Riffing und Gesang wohlig an beste Priest-Zeichen erinnern. Beim anfänglich getragenen, dann auch stampfend-heftigeren, in jedem Falle sehr guten „I Died For You“ eröffnet Herr Black erstaunliche vokalistische Breite und klingt in tiefen Lagen wie Geoff Tate, als der die ganze Sache mit der Musik noch ernst nahm.

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„Boiling Point“ entfesselt dann endgültig auch hier ein ordentliches Gerammel, bevor dann das ausladend-epische „The Dark Saga“ wohlig-gespenstische Atmosphäre verbreitet (und gesanglich wieder der gute alle Geoff zu winken scheint). Das gruselige „Cthulhu“ (ein Eis am Stiel für alle, die das auf Anhieb richtig schreiben), inspiriert vom doch eher kranken Geist eines HP Lovecraft, erntet Begeisterung in Form von lauthals mitgesungenen Melodien, was Herrn Schaffer fast vollständige Haltlosigkeit in Form eines freundlichen Gesichts entlockt. Bei der Hymne „The Hunter“ versucht ein Schlachtenbummler, seinen Pullover als Ventilator zu nutzen, der dabei auf die Bühne fliegt und von Herrn Block postwendend zurückgereicht wird. „Dystopia“ gerät zum finsteren Kracher, bevor dann standesgemäß die traurige Power-Ballade „Watching Over Me“ das Geschehen beschließt. So, genau so muss Kraftmetall, meine Herrschaften! Druckvoll, energetisch, mitreißend. In dieser Form sehen wir uns Herrn Schaffer und seine Freunde in fünf, sechs Monaten gerne wieder an, wenn sie wieder kommen, ganz bestimmt. Vielleicht ist es dann ja auch nicht mehr so heiß. Next stop für uns: Death Angel!

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