Gar nicht makaber, vielmehr zauberhaft: wir schwingen das Tanzbein mit Delain, Marco Hietala, Serenity und Cellar Darling
/29.10.2017
Backstage München
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Danse Macabre, Totentanz – unter diesem Motto kreuzt das holländische Symphonic Metal Flaggschiff Delain derzeit wieder in unseren Gewässern. Mit an Bord sind wahrlich illustre Gäste, denn ihren alten Kumpan Marco Hietala von Nightwish haben Charlotte und ihre Freunde kurzerhand mitgenommen. Ein wahrlich fürstliches Paket, das wir uns natürlich nicht entgehen lassen konnten!
Der Alleinunterhalter hat überraschend noch Termine frei: nachdem im Hause Nightwish erst einmal kürzer getreten wird – immerhin will das im neuwertigen Zustand ausgelieferte Kinde der holden Flor ja ordentlich versorgt sein – kann sich Oberwikingerzottelbartträger Marco Hietala nach Herzenslust auf seine Privatvergnügen konzentrieren. Und die bestehen bekanntlich in gerne absolvierten Gastbeiträgen bei allerlei Kombos, darunter auch Delain – schließlich kennt man sich seit Jahren, wie uns Bandchef Martijn Westerhold im Gespräch erläutert, das wir vorher im lauschigen Tourbus absolvieren dürfen. Herr Hietala tritt seit Jahren immer wieder als Gastsänger auf den Scheiben der Holländer auf den Plan und hat im Moment nichts zu tun, was liegt also näher, als gemeinsam eine Gastspielreise einzulegen, auf der nicht zuletzt eben jene Stückchen kredenzt werden, die man gemeinsam eingesungen hat.
Das scheint in der Tat attraktiv, denn als wir uns zu wahrlich früher Stunde zu unserem Gespräch einfinden, wimmelt es vor dem Eingang zum Backstage Werk durchaus schon von Schlachtenbummlern. Die Schlange nimmt beträchtliche Dimensionen ein, bevor es dann endlich zum Einlass geht und wir am Andenken-Stand dann zumindest kurz die letzte verbleibende Flasche der auf 150 Exemplare limitierten ersten Auflage des Delain-Whiskys von 2011 – einen 5jährigen Laphroaig des unabhängigen Abfüllers The Creative Whisky Co. – bestaunen, die sich ein enthusiasmierter Sammler sofort unter den Nagel reißt. An der Serenity-Theke gegenüber gibt eine schmucke junge Dame die Leibchen aus, die wir im Verlauf des Abends noch in anderer Funktion erleben werden.
Zunächst aber macht mit Cellar Darling eine Formation aus der Schweiz den Auftakt, die von Anfang an auf geneigte Reaktionen blicken darf. Kein Wunder, schaut uns doch von da oben mit Anna Murphy ein vielen Genrefreunden bekanntes Gesicht entgegen: immerhin stand die Dame jahrelang bei Eluveitie an der Drehleier und am Mikro, bevor sie sich mit ihren ehemaligen Kollegen Merlin Sutter am Schlagwerk und Saitenbieger Ivo Henzi auf eigene Beine stellte. Hier und heute präsentiert man Material des Kellerkind-Erstlings „Here Comes The Sound“, und auch wenn das Ganze teilweise etwas arg folkoristisch-schräg daherkommt, zeigt sich die durchaus nicht kleine Menge durchaus angetan vom Geschehen. Auch wenn Vokaltrainer Sebbes konstatiert, auf die Dauer fehle hier das Gegrunze, das bei Eluveitie die Würze gebe, kann die sehr höfliche Frau Murphy („Ich danke Euch herzlich fürs Zuhören!“) mit Stücken wie dem aktuellen Video „Avalanche“ punkten – auch wenn das in der Tat so klingt, als ob sie uns zum Mittagessen einladen wollte („have a lunch“?). Gesanglich geht das alles in beste Ordnung, inklusive Heidi-Jodler, Frau Murphy kann es auch an der Querflöte, und ihre Kombo – allen voran ein massiv ackernder Merlin – legt sich gut ins Zeug. Für die Schweizer hat sich der Weg nach München also in jedem Fall gelohnt.
Wir schauen uns nun ein wenig um und machen gleich diverse Feststellungen. Das Publikum scheint kaum kategorisierbar, viel Weiblichkeit ist am Start, viel bürgerliche Mitte, aber interessanterweise ist die Gothic-Mieder-Röckchen-Fraktion heute daheimgeblieben. Vielleicht ist es ja zu kalt, Internist Sebbes sagt ohnehin schon Blasenentzündung für alle voraus, die allzu lange draußen ausharren mussten – zumal der Verpflegungs-Posten leider nicht geöffnet hatte, weshalb wir vor Start kurzerhand noch schnell zu einer nahegelegenen Mineralölstation wanderten und dort wieder einmal bestätigen konnten, dass Plunder absolut Metal sind. Weiterhin notieren wir jede Menge österreichische Töne im Stimmengewirr: die nun folgenden melodischen Heroen von Serenity sorgen wie immer für Zuspruch auch aus dem nahegelegenen Ausland. Nach einem heldenhaften Intro springen die Herren dann auch auf die Bühne und steigen mit „United“ gleich mit einem Beitrag ihrer neuen Langrille „Lionheart“ ins Geschehen ein. Alle Serenity-Trademarks sind sogleich am Start: beschwingter Rhythmus, fettes Riffing, einprägsam-erhabene Melodien und natürlich der blitzsaubere Gesang von Fronter Georg Neuhauser, der auch heute wieder den zentralen Muntermacher gibt. Begeisterung allenthalben, trotz der Tatsache, dass die Scheibe erst seit einigen Tagen draußen ist: so gut läuft das Material rein, dass eigentlich zweitrangig ist, ob man das Stück nun kennt oder nicht. Herr Neuhauser begrüßt uns nun gewohnt launig, „Wir sind aus Tirol und somit Eure Lieblingsnachbarn! Und wenn ihr alle unsere neue Platte kauft, dann schaffen wir es endlich, diesen Gabalier aus den Charts zu schmeißen!“ Es geht eben nichts über ein bisschen wohlmeinende Rivalität zwischen Landsleuten – wobei zum ausgerufenen Ziel wohl auch einige Wiesn-Hits erforderlich sind, und ob Serenity die abliefern können und wollen, lassen wir offen.
„Genug geredet, wir sind hier ja nicht beim Edguy-Konzert!“, witzelt der Kollege weiter, bevor es dann weiter durchs Programm geht. An der Gitarre dürfen wir wieder einmal den Tausendsassa Chris Hermsdörfer bestaunen, der „nebenher“ ja auch noch beim deutschen Symphonieorchester Beyond The Black in die Saiten greift. Zu bestaunen gilt es nun allerdings noch weit mehr, denn zu „Iniquity“ gesellt sich nun ein durchaus wunderhaftes Wesen in bezirzend-knappem Beinkleid zu den Herren: ja, eben noch am Shirt-Stand, jetzt auf der Bühne wirft sich Sängerin Natascha Koch, genannt Tascha, hier gewaltig ins Geschehen und harmoniert auch stimmlich bestens mit Microphone-Controller Neuhauser. „Rust Of Coming Ages“ hebt die Stimmung weiter, ebenso wie das furiose „Legacy Of Tudors“ mit ausgefeilten Melodien und harmonischem Gesang (der mich wie immer im besten Sinne an den alten Schweden Johann Wörbelwönd, auch genannt Joey Tempest, erinnert) voll einschlägt. Nach „Lionheart“ mit dem fast schon obligatorischen Fahnenschwenken und „Follow Me“ ist dann nach gut 50 Minuten Schluss mit der melodischen Attacke aus dem Alpenland. Gut war‘s wie immer - unverständlich eigentlich, warum diese Kombo nicht einem breiteren Publikum bekannt ist. Im Februar kommen sie auf Headliner-Tour, natürlich wieder ins Backstage – als Support verhandelt man dem Vernehmen nach mit einem gewissen Herrn Gabalier.
In der Umbaupause stellen wir fest, dass Kühles Zeug wie immer als Trendsetter fungiert: auch die entspannten Herren der Security sprechen als Wegzehrung den Produkten eines gewissen Hans Riegel aus Bonn zu, wie wir das ja immer handhaben. Die emsigen Hände auf der Bühne schaffen derweil Platz für die Hauptattraktion, wobei man weniger auf Deko-Elemente als auf eine Videoleinwand und hübsch-synchron beleuchtete Mikro- und Keyboard-Ständer setzt. Wir betrachten noch kurz das Schlagzeug in sattem Schwarz, da geht es mit „The Monarch“ als Intro auch schon zur Sache. In gewohnter Formation nimmt man und frau Delain die Plätze ein und prescht mit „Hands Of Gold“ schon mal ordentlich nach vorne. Der Sound drückt massiv, Timo Somers wirkt wieder wie der offizielle Chris Hemsworth-Imitator komplett mit Thor-Rauschebart, bei Merel Bechtold hat man wie immer kleine Bedenken, dass die zierliche Dame von ihrer eigenen Gitarre umgerissen wird, und Basser Otto Schimmelpenninck van der Oije verzichtet auch heute wieder freundlich darauf, seinen Namen auszuschreiben, das würde doch ein wenig zu lange dauern. Aber, machen wir uns nichts vor, die im Moment wichtigste Frage ist: was trägt sie heute? Wir spekulieren noch und hoffen, es ist weder diese Pfauenjacke noch das seltsame Eisbärenfell – und wir werden reich belohnt: Charlotte stolziert in einem Schnalzkleid auf die Bühne, das haute couturist Sebbes mit „figurbetont“ noch sehr zurückhaltend beschreibt. So, meine Herren, nun mäßigen sie sich wieder, wir sind ja wegen der Musik hier. Hauptsächlich zumindest, und die kredenzt nun mit dem Klassiker „We Are The Others“ gleich einen Megahit, dessen trauriger Hintergrund – der Mord an Sophie Lancaster – sich jüngst erst zum zehnten Mal jährte und der hier und heute gebührend begangen wird. Seifenblasen fliegen ins Publikum, alle sind enthusiasmiert, auch die wunderlichen Buchhalter-Gestalten, bei denen das Delain-T-Shirt in lustigem Kontrast zur Glatze und Biederbrille steht. Metal ist halt für alle da. „The Glory And The Scum“ berauscht mich einmal mehr, dieser mid-Tempo-Stampfer mit schwerstem Orchester, exakt so muss symphonic Metal klingen, nicht verspielte Trällerei, sondern heftige Attacke.
„Get The Devil Out Of Me“ setzt den Schlager-Reigen der Bandhistorie fort, die Nummer brilliert auch heute wie stets. In Anlehnung an einen ehemaligen Fußball-Titan mag man hier fast schon sagen – ich hab ja alles erreicht, was soll da jetzt noch kommen? Nun, im Gegensatz zu Ollie, der dann im Keller seine Pokale anschreit, lassen wir uns eine furiose Darbietung von „Suckerpunch“ gefallen, das gewaltig ins Kontor schlägt. Ein wenig verwirrt mich dies nun doch, auf der Setlist, die wir selbstverständlich im Vorfeld getreulich studiert haben, stand diese Nummer eigentlich an viel späterer Stelle. Nun denn. Leicht angeschrägt, wunderlich schwebend kommt nun das tournamensgebende „Danse Macabre“ an die Reihe, zu dem Charlotte nun auch noch das Jäckchen ablegt. Wir nehmen das zustimmend zur Kenntnis, während wir auf der Videoleinwand eine schicke Animation bestaunen, auf der Charlottes Konterfei von einem Totenschädel überblendet wird – irgendwie merkt man ihnen die Gothic-Vergangenheit halt doch noch an. Nach der wunderbaren Ballade „Scarlet“ beschleicht uns dann aber doch ein seltsames Gefühl, wie damals, als in der unvergesslichen Sportschau ein Langläufer vermisst wurde und sich der Reporter unablässig fragte: wo ist Behle, denn hier heute heißt es Wo ist Marco? Wir entwickeln verschiedene Theorien, vielleicht hat er sich eine Weißwurst-Vergiftung geholt, vielleicht ist er am nicht besetzten Burger-Stand draußen gestrandet – wir wissen es nicht und vergnügen uns einstweilen mit einer gebührend-heftigen Fassung des Brechers „Here Come The Vultures“. Als man ohne viel Federlesens mit „Fire With Fire“ von der Setlist abweicht, dräut uns langsam Ungemach – ist unser Lieblingswikiner etwa wirklich verloren gegangen? Das Stück geht gut nach vorne, gehört aber sicherlich nicht zu ihren Sternstunden – was für das nun folgende, mächtige „Your Body Is A Battleground“ jedoch in jedem Falle gilt. Und jetzt geht das hier aber nicht mehr, auf Konserve singt Herr Hietala hier nämlich gehörig mit – und siehe da, zu einem gewaltigen Jubelsturm springt er doch tatsächlich aus dem Hintergrund hervor, mit fescher Bathik-Hose, die schön leuchtet, einer ordentlichen Joppe und vor allem seiner massiven Stimmgewalt, die ihn ja auch bei seinem Hauptarbeitgeber zum Protagonisten neben Frau Jansen macht. „Also, diese Nightwish-Typen kann man wirklich überall hinstellen!“, resümiert Arbeitsmarktanalyst Sebbes – stimmt, die Atmosphäre steigt nochmals erheblich, die Bühne gehört ab jetzt den beiden Rampensäuen, die ihre Conferencier-Qualitäten wunderbar ausspielen und stimmlich extrem gute Kontraste, aber auch Harmonien liefern. Die schöne Ballade „Nothing Left“ strahlt dabei ebenso wie das wunderbare „Control The Storm“, bevor die Kooperation mit „Sing To Me“ ihren einstweiligen Höhepunkt erreicht.
Die Meute tobt, Marco verabschiedet sich mit einem augenzwinkernden „I will be off now, but who knows what will happen later“. Wir wissen es zwar nicht, aber können uns denken, dass er uns ja vielleicht nochmals beehrt. Zunächst aber schwelgen wir im zauberhaften „Hurricane“ und dem elegischen „Not Enough“ – offenbar machen sie ernst mit der Ansage, dass heute auch ein paar live selten gehörte Perlen an den Start gehen. Damit verschwinden sie kurz, kommen aber zu „Mother Machine“ alsbald nochmals zurück. Auf der Leinwand spielt man dazu Szenen aus „Metropolis“ und „Modern Times“ ein – ob jeder diese dystopische Anti-Visionen einordnen kann, lassen wir dahingestellt, Tatsache ist, dass diese sperrige Nummer auch heute nicht so recht zündet. Mit treibendem, pulsierenden Beat animiert dann „Don’t Let Go“ zur kollektiven Hüpfburg, wonach die Menge Charlotte minutenlang abfeiert. Die ist sichtlich beeindruckt, spricht von „warm and fuzzy feelings everywhere“, sinniert darüber, dass es im Backstage immer wunderbar sei für sie, bringt dann aber vor lauter Begeisterung das mit der doppelten Verneinung doch durcheinander: „Munich, you never fail to disappoint!“ – man kann sich also darauf verlassen, dass das hier immer ein Reinfall wird? Schwamm drüber, wir wissen ja, was gemeint ist – „and now, if you make a lot of noise with the next one, a certain someone might reappear!“ Gesagt, getan, zumal mit “Scandal” nun ein echter Kracher abgefeuert wird, der laut Musikhistoriker Sebbes klingt die Abba, obgleich er von Queen ist (ich kläre danach auf, dass das vom Soundtrack des Films stamme, der die Profumo-Affaire, also den Polit-Skandal um die leichte Dame Christine Keeler der frühen 60er, behandelt). Auch das ist den meisten hier herzlich wurst, der stampfende Disco-Beat geht hervorragend ab, und Marco macht einen durchaus achtbaren Versuch, in den stimmlichen Fußstapfen eines gewissen Friedrich Quecksilber zu wandeln. „This is a good crowd of people“, führt Marco nun aus – und kaum einstudiert antwortet Charlotte “yes, you might a even call it…a gathering!” Natürlich ist kollektives Ausrasten angesagt, jeder weiß, dass wir zum Abschluss noch in den Genuss eben jenes Klassikers vom 2006er-Album Lucidity kommen. Die ganze Halle springt beherzt mit, aber dann ist der gar nicht makabre Tanz endgültig zu Ende. Wir notieren vergnüglich, dass die Setlist nur leicht umarrangiert war, damit der gute Marco nicht permanent hin- und herhetzen muss und nur „Army Of Dolls“ unter den Tisch fiel. Das aber sind Kleinigkeiten, unterm Strich steht wieder ein formidabler Abend mit einer fixen Größe am symphonischen Himmel, den wir wie stets gerne verlebt und erlebt haben. Slainche, Charlotte, you never fail to convince!