Eine symphonische Nachtmusik in drei Akten: Xandria, Serenity und Jaded Star im Backstage
/Backstage, 04.02.2016
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Ein bisschen Symphonie schadet nie, schon gar nicht, wenn es sich um ein Paket von Formationen handelt, denen wir teilweise schon jahrelang die Treue halten – wenn Jaded Star, Serenity und auch Xandria rufen, eilen wir natürlich gerne, insbesondere wenn sich die Gelegenheit ergibt, im Vorfeld Gespräche mit den entsprechenden Kollegen zu führen und so manche illustre Anekdote zu erfahren (mehr dazu demnächst in unseren Interviews mit Steve Wussow von Xandria und Georg Neuhauser von Serenity). Einstweilen gilt es aber eine leicht hysterische Menge von Jungvolk hinter sich zu lassen, das offenkundig in den kleinen Club zur Parallelansetzung des Rappers Majoe aus dem Mekka dieser Bewegung, Duisburg, drängt. Sollen sie das mal machen.
Wir hingegen sind ja ordentliche Menschen und finden uns zu den Klängen von Jaded Star an unserem Stammplatz ein (Bühne vorne rechts, wie immer, wir brauchen ja Regelmäßigkeit), als die Herrschaften um Frontfrau Maxi Nil auch gleich vernünftig loslegen. Dass wir es hier nicht mit Neulingen zu tun haben (immerhin tat die Sangesdame schon Dienst bei Visions Of Atlantis), zeigt sich an der Souveränität, mit der man uns hier Nummern des Debutalbums „Memories From The Future“ serviert, die die trotz Weiber-, Entschuldigung, politisch korrekt Damenfasching durchaus zahlreich angereisten Gäste gehörig abfeiern, so dass schon beim Opener beste Stimmung herrscht. Frau Nil überzeugt (am Mikroständer mit einem seltsamen schwarzen Ball) durch eine klischeefreie, charakterstarke Stimme, die Instrumentalfraktion um Schlagzeuger und Mit-Bandgründer Raphael Saini steht kompakt und kompetent und Nummern wie „Keep On Fighting“ oder „Wake Up“ laufen bestens rein. Maxi kann man später dann auch am Merchandise-Stand antreffen und noch das eine oder andere Wort wechseln – schön, gerne wieder!
Mittlerweile füllen die Backstage-Halle etliche hundert Herrschaften und sorgen damit für die exakt richtige Wohlfühlmenge, während Kollege Sebbes nicht müde wird, die Vorzüge seines stolz neu erworbenen Objektivs zu preisen, als wir dann doch ein wenig verwirrt sind: Die Bühne wird ganz offensichtlich für Xandria hergerichtet, die wir eigentlich als Headliner des Paketes vermutet hätten. Aber offenbar organisiert man den Tross auf dieser als „Double Headline Tour“ ausgeschriebenen Gastspielreise etwas anders und so sind es dann tatsächlich die Recken um Mastermind Marco Heubaum, die als nächstes auf die Bretter springen und mit „Little Red Relish“ den Reigen eröffnen. Soundtechnisch gibt es eingangs ein paar kleinere Probleme (das Ganze knallt nicht recht und ist sehr schlagzeug-lastig), aber das bekommt die Crew schnell in den Griff, so dass wir uns bald auf die Darbietung konzentrieren können. Dabei legen Marco und seine Kollegen den gewohnt üppigen Klangteppich, mit ordentlich Schmackes und gerne auch mal heftigeren Zacken, aber Hauptblickfang ist und bleibt natürlich Dianne van Giersbergen: heute ganz im langen, schwarzen, glitzerischen Kleidhosenanzugdingens und mit einem eher eigenwilligen Kopfschmuck, in dem man wahlweise eine finstere Elfenkrone oder ein Lager für die gerade nicht gebrauchten Stricknadeln sehen kann. Aber wie wir alten Lateiner sagen: Über Geschmack und so weiter... Gesanglich ist sie wie immer auf der Höhe und meistert auch die exaltierten Klippen mit berückender Lässigkeit. „Nightfall“ zimmert dann mehr als ordentlich los und „Blood On My Hands“ liefert dann gleich die nächste schmissige Nummer hinterher. Verzückung allenthalben, wunderbar, meine Herrschaften! Basser Steven Wussow, seines Zeichens aus meiner alten Heimat Aschaffenburg (Aschebersch!), macht mit Kutte (Prospekt dafür!) ordentlich Stimmung und animiert die Schlachtenbummler im Alleingang zu ordentlichen Schreiattacken. Insgesamt zeigen die Kollegen um Marco ein beeindruckend eingespieltes Stageacting, das jenseits aller aufgesetzten Choreographie angesiedelt professionell und cool rüberkommt. Nach „Call Of The Wind“ liefern sie dann mit „Dreamkeeper“ einen der veritablen Hits vom Sacrificium-Album, bevor sich Dianne vertrauensvoll an uns wendet.
Denn jetzt werden wir befragt, ob wir denn wissen, dass die Kombo jüngst auf ausgedehnter Asien-Tournee war (wissen wir, wir haben sie auch dazu befragt, siehe Interview), und dieser Erfahrung widmet man das nun folgende wunderbare „Undiscovered Land“, das sich von einem elegischen Start, bei dem Frau Giersbergen weitgehend alleine dasteht, in angenehme Intensität steigert. „Starlight“ sorgt dann für eine weitere Stimmungssteigerung und spätestens mit der schmissigen Neuinterpretation ihres All Time Classics „Ravenheart“ dürfen wir diesen Ausritt als absolut gelungen verbuchen. „Voyage Of The Fallen“ von der „Fire And Ashes“-EP läuft ebenso fulminant rein, aber dann neigt sich die Chose auch schon dem Ende zu: Nach „Cursed“ kündigt Frau Giersbergen auch schon den letzten Song an, der dann prompt in Form von „Valentine“ aus den Boxen schallt. Wunderbar, Jubel, Heiterkeit, und wenn man etwas mäkeln möchte, dann bestenfalls, dass nur ein Song aus der „alten“ Schaffensphase der Kombo kam, wo doch der Katalog an schönen Melodien deutlich mehr hergäbe. Aber sei’s drum, der Sound war top, das Krönchen saß, wir sind erfreut.
Und nun? Jetzt wechselt das Publikum gefühlt einmal durch, Sebbes kommt sich plötzlich etliche Jahre jünger vor, auch wenn der bei Nightwish noch anwesende offizielle Rainer-Calmund-Imitator heute nicht am Start ist. Aber alle Ängste sind unbegründet: Mit einem freudigen „Servus Minga!“ springt dann Georg Neuhauser hervor und macht von Anfang an als finales Kapitel der heutigen Ansetzung ordentlich Laune in der Bude. „Follow Me“ vom aktuellen Langeisen The Atlantean Codex setzt gleich mal ein Ausrufezeichen, das mit dem flotten up-tempo-Kracher „Sprouts Of Terror“ nochmal dick unterstrichen wird. Wer sich zum Rauchen oder anderen unsinnigen Tätigkeiten nach draußen begeben hat, kehrt spätestens jetzt zurück, denn die besetzungstechnisch fast schon runderneuerten Serenity heizen den Kessel ordentlich auf und stehen ihrem Ko-Headliner in nichts nach. Herr Neuhauser wirft sich schnell in die Rolle des Zeremonienmeisters, will grundsätzlich immer alle Hände sehen (Sebbes fühlt sich bisweilen an die Wiesn gemahnt und will seinen Krug in die Höhe halten) und ist entzückt, auf Tour endlich einmal seinem Tiroler Dialekt frönen zu dürfen. Bei „Royal Pain“ vom War Of Ages-Album kommt dann erstmals auch Gastelfe Natascha Koch zum Einsatz, die seit dem Ausstieg von Clémentine Delauney die Duett-Parts mit Georg bestreitet. Und wie, dürfen wir hier konstatieren, denn Frau Koch setzt sich kongenial in Szene, lässt die ebenholzfarbene Matte kreisen und eifert mit ihrem männlichen Kollegen um die Wette, was unterm Strich ein packendes Gesangsduell auf allerhöchster harmonischer Ebene ergibt.
Nachdem sich Gitarrist Chris bejubeln lassen darf – er ist mittlerweile festes Mitglied, hat heute Geburtstag und kommt aus Bamberg, also gleich drei handfese Gründe dafür – leistet sich Herr Neuhauser zumindest bei mir einen kleinen Ausrutscher, als er das gestern in Aschebersch genossene Schlappeseppl schmäht – im Dienste der Toleranz sehen wir darüber einmal hinweg. Aber nur ausnahmsweise! Entgegen seiner Aussage „Reden tun wir jetzt nicht mehr, sonst wären wir ja Edguy!“ plaudert er fröhlich weiter, bevor es dann aber mit „Iniquity“ ein weiteres feines, gesangsharmonisches Highlight der neuen Scheibe zu bestaunen gibt. Das balladeske „My Final Chapter“ bestreiten sie weitgehend akustisch, bevor es mit „Heavenly Myth“ und „Serenade Of Flames“ weiter im Text geht. Grundsätzlich dürfen wir konstatieren, dass die Nummern mit Frau Koch – teilweise in wallendem weißen Nachthemd und Mörderabsatzschuhen – nicht nur optisch dem Material von Serenety noch ein extra Krönchen aufsetzen, auch wenn Basser Fabio sich ebenfalls in beeindruckende vokalistische Höhen schwingt. Georg macht dabei den Bühnenderwisch, erklimmt die Beleuchtungs- und Lauchtsprecheraufbauten, post freudig und versprüht beste Laune. Mit „Serenade Of Flames“ und „Caught In A Myth“ (Mosh?) geht das Geschehen in die letzte Runde, bevor dann endgültig Schicht im symphonischen Schacht ist.
Überraschende Abfolge, dennoch überzeugend, ausreichend Spielzeit für jede Band, hervorragende Stimmung – kurz gesagt ein gelungener Ausritt in orchestrale Gefilde, der deutlich unterhaltsamer gewesen sein dürfte als der am gleichen Abend steigende Wiener Opernball. Wir zumindest sind davon überzeugt.