Kalte Erde auf dem Kopfschüttler-Ball: Iced Earth, Ensiferum, Kataklysm und Unearth bringen Bewegung ins Backstage

MTV Headbangers Ball Tour 2016
17.12.2016 Backstage München
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In den seligen 80ern gab es für die wenigen Glücklichen, die Satellitenempfang hatten (den sich manch einer ja eigens wegen Boris Beckers Auftritten in diesen Kanälen besorgte), eine hübsche Spartensendung: denn da flimmerte ab 1987 im damals noch relevanten Kanal MTV höchst erfolgreiche der Headbangers Ball über die Mattscheibe, wo zu nachtschlafener Zeit die harte Gangart mit Videos, Interviews und Specials zu ihrem fernsehmedialen Recht kam. Klug eigentlich, diesen auch heute noch klingenden Markennamen auch für eine Gastspielreise zu verwenden, die es in sich hatte – in Besetzung und Spaßfaktor gleichermaßen.  

Denn die offiziell so genannte MTV’s Headbangers Ball Tournee, die im November und Dezember durchs insgesamt 12 Ansetzungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz rollte, brachte ganz bewusst verschiedenste Stilrichtungen unter einen Hut, so wie das TV-Vorbild dies ebenso hielt. Von Metalcore über Death bis hin zu klassischem Stoff war für alle Schlachtenbummler etwas am Start, alte Haudegen und Newcomer baten in Eintracht zum Tanztee – und die Frage war eigentlich nur: wie passt das zusammen? Nehmen wir es vorweg: ganz famos!

Nachdem die Chose schon am späten Nachmittag losdonnerte, geben wir für den Auftakt ab an Frühkorrespondent Ray, der von Anfang an vor Ort weilte: Den Einstieg in die musikalische Vielfalt des Abends erledigen die aus Boston stammenden Unearth. Zu diesem Zeitpunkt ist das Backstage Werk zwar schon ordentlich gefüllt, zwischen den Reihen sind jedoch noch deutliche Lücken auszumachen. Ganz im Gegensatz zur Bühne, auf der bereits 3 (!!!) Drumsets platziert sind, die somit den Bewegungsradius doch arg einschränkten. Der Metalcore der Jungs sorgt schon bald für reichlich geschütteltes Haupthaar und läuft gut rein. Etwas übermotiviert davon, fordert Sänger Trevor dann auch bald einen Circlepit, ein Aufruf, der jedoch konsequent ignoriert wird. Erst mit zunehmender Spieldauer kommt auch zumindest kurzzeitig etwas Bewegung vor der Bühne auf. Die Band liefert auf jeden Fall einen tighten Set ab und dürfte sich somit auch den einen oder anderen zusätzlichen Fan erspielt haben.

Das mit den lichten Reihen hat sich dann aber spätestens bei Kataklysm vollständig erledigt. Die melodischen Deather aus Kanada erweisen sich als echter Publikumsmagnet und sorgen dafür, dass das weite Rund so prall gefüllt ist, dass man sich einer Sardinenbüchse wähnt. Mit einer einfachen, aber effektiven Bühnenausstattung (drei Podeste vorne, eine kleine Lightshow im Hintergrund) mähen die Jungs um Shouter Maurizio Iacono mit mächtig drückendem Sound und brachialer Urgewalt alles nieder. Nicht wenige der angereisten Sympathisanten (in erster Linie junge Leute, darunter diverse holde Damen) quittieren das Geschehen mit Circle Pits, was Maurizio mit „I like what happens in the middle here!“ honoriert.

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Songs wie „As I Slither“ oder „Take The World By Storm“ beweisen dabei, warum Kataklysm zu Recht neben Amon Amarth und Arch Enemy als Aushängeschilder des komplexen, anspruchsvollen Death Metal zählen: zu den aggressiven, charakteristischen Drum-Blastbeats gesellen sich epische, ausgefeilte Melodie-Parts, die sich weit über bloße Gewaltattacken erheben und auch feinere Geister ansprechen. Herr Iacono schnappt sich nun zu „At The Edge Of The World“ einen crowdsurfenden Fan, der auf der Bühne mitmischen darf, während Innenausstatter Sebbes die Auslastung der Halle kommentiert: „Das Backstage ist zu klein!“ Meister Maurizio berichtet uns nun gut gelaunt, warum er gerade im Dezember so gerne in Deutschland ist: „I discovered gluhwein! Please keep your traditions!“ Zu  „Blood In Heaven“ scheinen sich manche im Pit zur Demontage der Halle anzuschicken, und auch bei „Serpent’s Tongue“ geht der wilde Tanz munter weiter, bevor sich die Herren dann vor einer vollkommen aus dem Häuschen geratenen Menge verabschieden. Bemerkenswert, welche Reaktionen eine Kombo so früh im Billing auslösen kann.

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So richtig leer wird es auch jetzt nicht, ein kleiner Publikumswechsel findet statt, aber die große Rotation ist das nicht, die wir hier konstatieren – offenbar gibt es doch eine gewisse Schnittmenge zum jetzt anstehenden Weihnachtsfest der Volksmusik. Mit einem massiven Backdrop und einer gewaltigen Schießbude rücken die Finnen von Ensiferum an, und technische Probleme mit der Beleuchtung werden von einem launigen Herrn in Rentier-Pullover und Pudelmütze fachmännischen behoben (es ist ja auch so kalt in der Halle). Nach dem Intro „By the Dividing Stream“, das direkt einem Conan-Film entsprungen scheint, stürmt die bunte Horde auf die Bretter und legt mit „From Afar“ gleich furios los. Der Viking-Death mit Folk-Einsprengseln zündet das Feuer unter dem Kochtopf sofort wieder an - mittlerweile auf der anderen Seite der Bühne angekommen, bestaunen wir die massiven Wellen, die durch die Schar der Kopfschüttler gehen. Frontmann Petri Lindroos kreischt und grunzt, dass eine Art hat, Bandgründer Markus Toivonen greift beherzt in die Saiten, und vor allem Basser Sami Hinkka macht in Rock (ja) und schweren Stiefeln eine formidable Figur. Durchgängig in Kriegsbemalung, legen sich die Herrschaften ordentlich ins Zeug, wobei die Mischung aus brachialer Präzision und episch-hymnischen Momenten fasziniert. Wunderbar ins Klang- und Erscheinungsbild passt auch die schmucke Netta Skog, die seit diesem Jahr bei den wüsten Gesellen das Akkordeon schwingt und immer wieder zauberhafte Soundteppiche und folkige Melodieläufe beiträgt. Stücke wie „Warrior Without A War“ oder „In My Sword I Trust“ sorgen für massive Mitsing- und Tanzattacken, die ebenholzfarbenbehaarte Tastenspielerin begeistert ein ums andere Mal, während die Herren Lindroos und Toivonen flirrende Soli aufs Griffbrett werfen. Zu „Two Of Spades“ erleben wir dann eine heftige Folk-Humppa-Attacke, zu der uns Sami den Bassteufel macht, der sich gewaschen hat. „Die haben alle total kaputte Schuhe an! Und viel zu groß!“, berichtet Orthopäde Sebbes bei seiner Rückkehr aus dem Fotograben, während sich im Pit mittlerweile wieder tumulthafte Zustände bieten. Zur wunderbaren Hymne „Twilight Tavern“ wirft sich Herr Toivonen selbst ans Mikro und rezitiert finnische Zeilen, bevor dann eine atmosphärische Melodie durch Frau Skog einsetzt. Wie im Rausch rast das Set vorüber, bis dann nach „Lai Hai Hai“ endgültig Schicht im Schacht ist. Begeisterung allenthalben – wie das der Headliner noch toppen soll, scheint fraglich.

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Jetzt setzt dann allerdings doch ein spürbarer Wechsel im Publikum ein, der Altersschnitt steigt um gefühlte 15 Jahre, klassische Kutten dominieren das Feld, und ein lustiger Mensch in Amerika-Jacke, Kopftuch und dunkler Sonnenbrille tritt das Erbe des uns ja bestens bekannten Mötley Crüe an. Nach wie vor sehr ordentlich im Zeitplan (Fahrplanwächter Ray informiert uns, dass hier um 23 Uhr Schluss sein muss, da danach die übliche Freak Out-Party läuft), entern jetzt die Veteranen von Iced Earth die Bretter. Besser gesagt eigentlich nur einer – denn neben Bandgründer und Cheffe Jon Shaffer ist von der Formation, die diverse Klassiker des US-Metal ablieferte, niemand mehr mit an Bord. Mit „The Great Heathen Army“ steigen die Herrschaften gleich mit einem Song mit kommenden Album „Incorruptible“ ein, das alle typischen Iced Earth-Trademarks aufweist: heftiges, messerscharfes Riffing, stampfende Rhythmen und epische Refrains.

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Herr Shaffer selbst macht eine gute Figur, hat seine früher schon mal schlohweißen Haare nebst Bart schwarz gefärbt, trägt dazu Kopftuch und eine ebenso schwarze Lederweste mit Iced Earth-Patch und dräut finster ins Publikum, wie man das gewohnt ist. Shouter Stu Block macht uns wie gewohnt eine junge Ausgabe von Matt Barlow, bringt die herausfordernen Gesangspassagen durchaus ordentlich und informiert uns jetzt, dass wir heute abend eine „sold out crowd“ seien – das war uns noch gar nicht aufgefallen. Im Pit geht nach kurzer Zeit das fröhliche Gerammel weiter, und sogar einige Protagonisten aus dem Kataklysm-Fanlager beteiligen sich mit Schmackes. Nach dem mächtigen „Plagues Of Babylon“ sorgt dann der Titeltrack vom „Dystopia“-Album für allgemeines Entzücken, die Siegeshymne „V“ wird frenetisch abgefeiert (inklusive dem Zeichen, für das doch eigentlich Winston Churchill das copyright haben sollte), bevor dann „My Own Savior“ schnell und hart daherbrettert. In Sachen Stageacting hat sich Herr Block doch etliches beim guten Bruce Dickinson abgeschaut – er animiert die Menge gekonnt zum Mitmachen, was vor allem bei „The Hunter“ (auch bekannt als „der Honda“) besonders gut gelingt. Stu legt großen Wert darauf, dass er nur „smiling faces“ sehen will – nun, da ist er hier ja genau richtig, denn das nun folgende „Boiling Point“ zaubert mit Stampfrhythmus und charakteristischem Stakkato durchaus frohgemute Stimmung in die Bude.

So ganz kann man sich zwar nie des Eindrucks erwehren, dass hier eine Kombo von Auftragsmusikern professionell ihren Dienst versieht, aber der Atmosphäre tut das keinen großen Abbruch – auch wenn Chef im Ring Shaffer wie gewohnt auch heute keinen Ton zu uns sagt. Nach dem coolen „Pure Evil“ setzt dann die Halbballade „Watching Over Me“ Höhe- und Schlusspunkt: diese Elegie auf Shaffers Jugendfreund Bill Blackmon brilliert wie stets und liefert nach meinem Dafürhalten das beste Eiserden-Stück des Abends. Schlag 23 Uhr ist tatsächlich Schluss mit der Sause – manche Leute haben eben doch den Überblick über Münchens Party-Kalender. Wir verabschieden uns einstweilen und erlauben uns an dieser Stelle, eine schwermetallische, malt-begleitete und vor allem äußerst kühle Weihnacht zu wünschen!