Grazien hoch drei: Delain, Gentle Storm und Amberian Dawn leibhaftig
/Backstage, 02.11.2015
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Die Chance, den Abend mit gleich drei adretten Damen zu verbringen, und das auch noch nacheinander, die bietet sich ja nun mal nicht gerade alle Tage. Deshalb greifen wir natürlich freudig zu, als ein besonders fesches Paket der Sorte female fronted bei uns Station macht. Das haben sich wohl noch diverse andere Schlachtenbummler ebenfalls gedacht, denn als wir pünktlich um 8 Uhr die Austragungsstätte betreten, ist die Backstage Halle schon mehr als respektabel gefüllt – immerhin ist Montag, und bei drei aufgefahrenen Kombos besteht kein Zweifel, dass der Liederkranz sicherlich nicht vor Mitternacht beendet sein wird. Aber sei’s drum, das wussten wir ja und sind nicht zuletzt aus eben diesem Grunde hier.
Denn anstelle von unnötigem Vorgeplänkel irgendwelcher Nasenformationen, das nur Zeit kostet, bietet die Ansetzung Qualität von der ersten Sekunde. Vollkommen zu Recht erntet schon der Opener Amberian Dawn geneigten Zuspruch: mögen die Stücke der Finnen dem einen oder anderen auf Konserve nicht heftig genug klingen, laufen die Nummern live ganz hervorragend ins Ohr und fahren auch famos ins Tanzbein. Im Gepäck haben sie das ganz frische Album Innuendo, und das ist nicht die einzige Neuerung: auch Sangesdame Capri (einmal alles raushauen: bei ihr versinkt die rote Sonne im Meer, Stohhalm-Getränk-Erfinderin, so gut ists) ist zwar schon seit 2012 an Bord, kennt die Location allerdings nur aus den Schilderungen ihrer Mitstreiter und feiert somit Backstage-Premiere. Die gelingt auf ganzer Linie, stimmlich ist die Dame komplett auf der Höhe (und manchmal sehr nah am – absolut positiv bemerkenswerten! - Abba-Vocal-Style), Keyboarder, Chef und Songschreiber Tuomas Seppälä greift beherzt in die Tasten und feuert Nummern wie „Magic Forest“ oder das neue „The Court Of Mirror Hall“ mehr als ordentlich in die Menge. Kollektives Band-Headbanging und leicht theatralische Gestik von Frau Capri verbinden sich zu einer Mischung, die spätestens mit „Cherish My Memory“ und „River Of Tuoni“ für eine feine Eröffnung des Reigens sorgt.
Etwas skeptisch durfte man ja dem entgegensehen, was die landauf, landab bekannte, äußerst sympatische Anneke van Giersbergen (angabegemäß nicht verwandt oder verschwägert mit der Xandria-Fronterin gleichen Namens) mit ihrer neuen Formation servieren würde: denn, so die eine oder andere Stimme im Vorfeld, der gentle storm sei auf Scheibe doch etwas sehr gentle ausgefallen. Nun, als die Dame mit den roten Locken die Bühne entert, wird innerhalb von Minuten klar, dass das Gegenteil der Fall ist. Frau van G. zündet vom Einstieg mit „Heart Of Amsterdam“ ein wahres Feuerwerk von Energie und Dynamik, das die Menge vollständig zu verzücken weiß. Des Rätsels Lösung: Songschreiber Arjen Lucassen, selbst gar nicht auf Tournee dabei, entwickelte für das Album The Diary je eine sanft-folkloristische und eine progressiv-härtere Fassung pro Song – und heute erleben wir letztere Variante. Bewaffnet mit Lederhose, Blüschen und Tattoos, fegt Anneke passend dazu wie ein Wirbelwind herum, zeigt eine schon beeindruckend souveräne Bühnenpräsenz und glänzt nebenbei mit einer Stimme zum Niederknien. Neben der ebenso adretten Background-Sängerin Marcela Bovio (Stream Of Passion) ist auch noch die zierliche wie überzeugende Gitarristin Merel Bechtold mit an Bord – das ist nicht mehr nur female fronted, sondern female nahezu überall, stellen wir wohlwollend fest: die rote Zora und ihre Bande gewissermaßen. Am Start sind neben massiven, kollektiven Headbanging-Attacken (hat frau sich da etwa abgesprochen?) blitzsaubere Instrumentierung, launige Ansagen („do you know the the little venue just around the corner?“ – gemeint ist der in der Tat sehr überschaubare Club) und vor allem natürlich zwei Schmuckstücke aus der Gathering-Zeit: mit „Eléanor“ und vor allem „Strange Machines“ kommt jeder Anhänger der proto-Symphoniker voll auf seine Kosten. „You are great“, so bedankt sich die liebe Anneke am Ende – das geben wir doch gerne zurück!
„Wow, wie soll das jetzt noch besser werden?“ Diese Frage des geschätzten Kollegen beantwortet die Hauptattraktion des Abends dann postwendend, denn Delain sind heute abend:
- musikalisch perfekt eingespielt.
- bestens aufgelegt.
- und Songtechnisch gut sortiert.
Und, in Person von Charlotte Wessels, auch ein optischer Leckerbissen (hossa was ein Kleidchen!!). Die Menge geht sofort steil, als die Herrschaften und zwei Damen – denn an der Gitarre erblicken wir, in neuem Leibchen und leicht anderem Look, wieder Frau Bechtold (na das nennen wir mal Job Rotation!) – mit „Go Away“ in ihr Set einsteigen. Das tun wir ganz bestimmt nicht, ganz im Gegenteil laben wir uns doch allzu gerne an dieser Darbietung. Die ist zwar massiv laut, aber soundtechnisch dennoch ordentlich zubereitet. Ein neues Album ist gar nicht mit dabei, das kommt erst 2016, informiert uns eine wahrlich zauberhafte Charlotte, aber dennoch dürfen wir uns auf altes, neues und ganz neues freuen. Das tun wir, gerne in Form von „Get The Devil Out Of Me“ und dem superben „Army Of Dolls“ vom letzten Geniestreich The Human Contradiction. Diese Scheibe kommt dann auch mit „Lullaby“ und dem veritablen Hit „Stardust“ zu Ehren, bei dem Charlotte einmal eindrucksvoll ihre vokalistischen Künste unter Beweis stellt. Der leuchtende Mikroständer wirkt in Nebelschwaden teilweise wie ein Jedi-Lichtschwert, Charlotte lässt die Matte mit den Herren der Schöpfung um die Wette kreisen und schenkt uns mit „Electricity“ und „Here Come The Vultures“ weitere Glanzlichter. Zu „Don't Let Go“ wird dann kollektiver Hüpfalarm ausgerufen, bevor wir mit „Turn The Lights Out“ exklusiv ein Stück vom kommenden Album hören dürfen.
Das läuft als typischer Delain-Stoff bestens rein und macht jede Menge Lust auf neues Material aus der Feder von Keyboarder und Bandchef Martijn Westerholt, der heute abend rechts erhöht neben dem Drumset agiert. Bei „The Gathering“ gibt es neben feinen Gesangsharmonien auch einen Konfettiregen und Klatschbekundungen, die wirklich in den letzten Winkel der mittlerweile mehr als gut gefüllten Räumlichkeit dringen, und „Not Enough“ beendet das reguläre Set, das natürlich, wie das Charlotte feststellt, alles andere als genug ist. So rufen wir sie auch gerne nochmals herbei und kommen noch in Genuss von „Mother Machine“ und „Stay Forever“ (ja, das schon eher, Charlotte…) – aber den Abschluss bildet dann natürlich die Bandhymne „We Are The Others“, die die vollkommen verzückte Menge dann frenetisch feiert. Qualität bleibt Qualität, und das konnte dieser Abend in gleich drei Ausführungen liefern, auch wenn drei Kombos am Stück schon ein bisschen was von Marathon haben. Aber schlafen wird ja sowieso überbewertet.