Mit W.A.S.P. auf der bloody road nach Golgotha
/29.10.2015, Theaterfabrik, München
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Also, Blackie, jetzt müssen wir mal aber wirklich ein ernstes Wörtchen reden. Da kredenzt Du uns nach sechs Jahren wieder mal ein herausragendes Studiowerk, an Deine letzten Live-Ausritte erinnern wir uns gerne, weil Du da ja unter anderem das 30jährige Bandjubiläum mit einem bunten Reigen voller Melodien gut gelaunt gefeiert hast, die im Vorfeld ja mittlerweile gut zu studierende Setlist verheißt durchaus großes – und dann passieren zwei Dinge: erstens singst Du nicht für uns. Zumindest nicht so richtig. Und zweitens fehlt der Chainsaw Charlie. Wie konnte das geschehen?
Wir beginnen mit dem Anfang. Die Theaterfabrik in den Optimolwerken ist nicht gerade häufig Austragungsort schwermetallischer Genüsse, aber sollte der nahe gelegene Kunstpark (ich sag das immer noch so, früher hieß der so und nicht Kultfabrik) wirklich wie angekündigt Ende des Jahres die Pfanni-Pforten schließen, könnte sich das ändern. Geeignet ist die Räumlichkeit allemal, mit einem leicht erhöhten Eingangsbereich, in dem sich witzigerweise deutlich mehr Schlachtenbummler drängen als unten vor der Bühne, als die ersten Anheizer das Potpürre eröffnen. Die Lucky Bastardz aus Bella Italia spielen sehr ordentlichen, ruppigen Metal in einer doch am oberen Rand des machbaren angesiedelten Lautstärke. Die Nummern von ihrem Album Alwayz On The Run (das mit dem „z“ ist clever, oder?) laufen schon mal gut rein, und der 1-Mann-Fanclub ganz vorne ist außer Rand und Band. Ob man nun ein Stück „Sin City“ nennen muss, sei dahingestellt – die 30 Minuten hätten wir definitiv auch schlechter verbringen können. Nicht schlecht.
Optisch mehr machen da schon die Jünglinge von Rebellious Spirit, deren Fronter Jannik die musikalische Formel mit Fliegerbrille und Haarwesen auch optisch rüberbringt – wenn ein junger Bret Michaels sich mit einem noch in Form befindlichen Axl Rose gekreuzt hätte, würde ungefähr dieser Look herauskommen. Beherzt greifen die Herren von der schwäbischen Alb (wo metallische Bands scheinbar auf den Bäumen wachsen, siehe Kissin‘ Dynamite) in die Saiten und servieren Material von ihrem Album Obsession, das weniger Poser-Sound als vielmehr groovigen Metal mit einem Hauch Glam liefert. Die ganz große Stimmung vermag das alles nicht zu entzünden, zumal man offenbar die Zeit überzieht, der letzte Song komplett ohne Bühnenbeleuchtung auskommen muss und nicht einmal mehr das obligatorische Foto mit dem Publikum gestattet wird. Kleingeistig und schade für die Jungs.
Nachdem wir auch noch einen weiteren Kollegen aus unserem erlauchten Schreiberlingenkreis getroffen haben, geht es dann aber zur Hauptattraktion des Abends – nach einem kurzen Intro springen die drei Statisten, mit denen der Chef jetzt schon jahrelang unterwegs ist, auf ihre gewohnten Plätze: Mike Duda am Bass links und Doug Blair an der Kreissägen-Gitarre rechts legen wie gehabt mit „On Your Knees“ los, und jetzt brennt der Baum dann doch, als Herr Lawless sich auch die Ehre gibt.
Garderobentechnisch gibt es natürlich keine Experimente, er trägt schwarz, bis er etwas Dunkleres findet, das Shirt „30 Years Of Thunder“ ist aktualisiert zu „33 Years Of Blood“ (wobei die kruden Show-Effekte ja schon lange nicht mehr am Start sind), die Spandex-Hose ist auch hinten geschlossen, Knieschoner ordentlich gerichtet. Im grellen Scheinwerferlicht schaut er – mit schwarzem Kajal – mittlerweile aus wie der Großvater des Leibhaftigen, aber jünger werden wir alle nicht. Wichtiger: der Sound passt, der Zeremonienmeister scheint zumindest nicht schlecht gelaunt, also alles bereit für eine lustige Sause, zumal es mit „Inside The Electric Circus“ gleich ein weiteres Pfund auf die Ohren gibt.
Auch die alten Schlachtrösser „The Real Me“ und „L.O.V.E. Machine“ machen wieder einmal einiges her, und wir schauen uns mal um: der spaßige Mikroständer, auf dem er immer herumgeschwungen ist, fehlt, aber Beleuchungseffekte haben wir dabei, und die Bühne ist mit zwei Videoleinwänden ausgestattet, auf denen wir Blackie in jungen Jahren bewundern dürfen – Mann, die Zeit ist wirklich nicht nett zu Dir gewesen…sei’s drum, jetzt spricht er sogar zu uns, ein neues Album habe er ja im Gepäck, „Goulgouthaa!!“, und jetzt feuert er das ja durchaus gelungene „Last Runaway“ unter Volks. Kraftvoll gespielt kommt sie daher, diese Springsteen-Nummer im Metal-Gewand, und gut gesungen ist sie auch. Im Studio. Denn jetzt bin ich dann doch ein wenig erbost: der Gesang kommt hier offensichtlich komplett live vom Band. Die Stimme ist nicht mehr ganz auf der Höhe, aber das erwartet nach 33 Jahren Brüllen ja auch keiner – aber Playback-Partie muss nun wirklich nicht sein.
Dann feuert der Meister uns ein schmackiges „Crazy“ um die Löffel, und auch das begeistert mich nur kurzzeitig – denn auch hier hilft die Konserve wieder mehr als deutlich nach, was den doch eigentlich hervorragenden Song vom Babylon-Album arg ramponiert. Da helfen auch die Videos mit lauter verstorbenen Musikstars, von Elvis bis Michael Jackson, nix. Ich hadere noch, ob mir das jetzt komplett den Spaß verdirbt, als mit der Ouvertüre aus seinem Meilenstein die „Arena Of Pleasure“ eingeleitet wird. Das knallt ganz gewaltig, untermalt von den Videosequenzen, die er seinerzeit für The Crimson Idol produzieren ließ und erstmals auf der 15-Jahres-Jubliäums-Tournee seines Geniestreichs präsentierte, und auch auf seine Sangeskräfte scheint er sich wieder mehr zu verlassen. Also, sind wir mal wieder Freunde. Gleich danach erklärt er uns, dass nun ein Stück folge, das er als erstes für das Konzeptalbum geschrieben habe und das dann das Licht der Welt doch erst auf der brandaktuellen Scheibe erblickt hat: „Miss You“ von Golgotha bietet Doug Blair wieder die Möglichkeit zu beweisen, dass er a.) sein Leben offenbar im Fitness-Studio zubringt und b.) ein zünftiges Solo zaubert. Mit dem Medley aus „Hellion“ und „I Don’t Need No Doctor“ greift er dann wieder ein die blutige Mottenkiste, bevor ein musikalisch brillantes und gesanglich aufgepäppeltes „Golgotha“ den Schlusspunkt setzt. Im Vergleich zum Powerwolf-Auftritt letzte Woche ist der Jubel verhalten, aber man macht genügend Lärm, um den Meister nochmal auf die Bühne zu bringen, wo er beim Lied vom Eimer („Wild Child“) zu seiner Stimme steht – die Höhen gehen nicht mehr, aber das doch immer noch zehnmal besser als auf die Konserve zu setzen. Ehrlich rockt am längsten! Mittlerweile hat es uns bis in die erste Reihe vorgeschwappt, wo die Stimmung dann bei „I Wanna Be Somebody“ doch endgültig überkocht. Das Mitsingspielchen ist dankenswerterweise kurz, die Masse skandiert den Refrain freudig (ein Schulkollege von mir meinte immer, das hieße „I wanna beat somebody blue“, würde ja auch passen), und wir entlassen Blackie versöhnt in den Abend. Aber halt!! Wir haben ja noch ein Hühchen zu rupfen, so wie Du das früher auf der Bühne gemacht hast, mein Herr: wo war der „Chainsaw Charlie“?? Der stand doch auf der Setlist? Das gibt ja gleich noch mehr Punktabzug. Also, was sagt man dazu? Natürlich hat das wieder Spaß gemacht, aber zu Deiner Form bei der Jubliäums-Tour war das nur ein blasser Vergleich. Hoffen wir mal, dass diese Mätzchen mit „eingesampelter“ Stimme nicht von Dauer sind. Und überzeugen werden wir uns, denn ich bin sicher, wir sehen uns bald wieder. Bis dann, und denk drüber nach!