Dunkle Wasser sind tief: Delain kehren zurück und haben Xandria mit dabei
/28.04.2023 Backstage München
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Manchmal kommen sie wieder – das gilt erfreulicherweise nicht nur für Stephen-King-Geschöpfe, sondern auch für Delain, die Bandcheffe Martijn Westerholt reformiert an den Start bringt. Und wenn dann auch noch unsere Freunde von Xandria mit an Bord sind, müssen wir das natürlich vor Ort erleben.
Schade war es schon, als nach dem eher schwierigen „Apocalypse and Chill“-Album relativ urplötzlich Schluss war im Hause Delain. Die gute Charlotte, die uns ja schon seinerzeit beim lauschigen Interview keinen Port Charlotte kredenzen wollte, orientierte sich musikalisch um, und auch die Restbesetzung kam Gründer Martijn irgendwie abhanden. Nach einiger Zeit Funkstille und dem Zwischenprojekt Eye of Melian gab es dann wieder Lebenszeichen, als Martijn die alten Weggefährten Sander Zoer am Schlagwerk und Ronald Landa als Saitenheld wieder um sich scharte und mit „The Quest And The Curse“ 2022 eine erste Single heraushaute. Am Mikro lieferte Diana Leah eine mehr als reife Leistung, was nach dem großen Schatten von Frau Wessels mehr als beachtlich war. Und siehe da, eine komplett neue Scheiblette flatterte uns Anfang diesen Jahres dann auch noch ins Haus: „Dark Waters“ überzeugte auf ganzer Linie mit allen Delain-Trademarks – die Welt ist also auch in dieser Hinsicht wieder in Ordnung, weshalb wir umso lieber ins Backstage pilgern, wo heute wieder einmal volle Hütte zu vermelden ist.
Erst einmal müssen wir ein wenig Unbill ertragen, weil das Wetter offenbar auch in Delain-Stimmung ist und uns jede Menge „April Rain“ schickt, als wir in der durchaus beachtlichen Schlange vor dem Einlass stehen. Irgendwann schaffen wir es dann aber in die Halle, die sich wohltemperiert durch die Verdunstung relativ schnell in ein Dampfbad verwandelt, was wir ja bestens kennen. Pünktlich um 20 Uhr entern dann Xandria die Bühne, für die wir in letzter Zeit so etwas wie ein Abo gelöst haben – macht aber gar nichts, immer wieder gerne erleben wir auch diese – ebenso erfolgreich reformierte – Symphonic Kombo um Mastermind Marco Heubaum. Frontgrazie Ambre Vourvahis zeigt sich wieder äusserst apart und wappnet sich per hohem Schuhwerk wie immer gegen allfällige Überschwemmungen (oder Regengüsse, was heute ja durchaus angebracht war). Die Setlist bedient sich in erster Linie aus dem Material der neuen Generation: „You Will Never Be Our God“, auf Konserve mit Ralf Scheppert eingezimmert, geht auch heute ordentlich nach vorne, wobei die Fronterin die Grunzattacken bestens meistert. Der Sound ist etwas ausbaufähig, aber dennoch rauschen das sinnbildliche „Reborn“ („the song that brought us back“) und auch „Ghosts“ sehr achtbar heran. Ab „Nightfall“ ist auch klanglich alles in Ordnung, spannend wieder der Gegensatz zwischen Ambres Timbre und der eher exaltiert-opernhaften Interpretation, mit der die damalige Sängerin Dianne van Giersbergen das Stück intonierte – „da kann man nicht mitsingen!“, fasst Gesangslehrer Sebbes diese Ursprungsfassung treffend zusammen. Mit „Two Worlds“ setzt es den durchaus langen Opener des aktuellen Albums über die Wunder, die noch auf uns warten, worauf sich dann das Stück eben dieses Namens anschließt. Die Zeit vergeht im Fluge, wir sind abgetrocknet, als mit „My Curse Is My Redemption“ schon nach 40 Minuten wieder Schicht im Opener-Schacht ist. Die Menge goutiert das Geschehen durchaus begeistert, nicht zuletzt weil die Mannschaft um Marco mit Basser Tim Schwarz und Saitenbieger Robert Klawonn ihren Dienst kompetent versieht. Wir sind gerne wieder dabei – auch nächstes Mal, was sicherlich wieder nicht lange auf sich warten lassen wird.
Jetzt dampfen wir noch ein wenig vor uns hin und beobachten schon einmal, wie sich Martijn auf der Balustrade hinten mit einem kleinen Fläschchen und vor allem einer Roland-Kaiser-Gedächtnis-Glitzerjacke warmläuft. Mit einem leuchtenden Drumset führt man ins Geschehen ein, ein atmosphärisches Intro ertönt, dann springen sie hervor und steigen mit „The Cold“ vom neuen Album ins Geschehen ein – warum Martijn nicht ersten Track der Scheibe „Hideaway Paradise“ ausgesucht hat, bleibt sein Geheimnis. Nach den ersten paar Takten spaziert dann auch Diana Leah hervor, mit kurzer Hose, hohem Schuhwerk (man spricht sich ab offenbar) und schmuckem Jäckchen. Die Dame greift beherzt an, schwingt Mähne und Mikro, Gitarrist Ronald hat offenbar Freude am Geschehen – aber dann bedeutet Sander an der Schießbude, dass das so gar nicht geht. Offenbar hört der Kollege nichts und kann damit seine Kollegen schwerlich treffsicher begleiten. Ronald nimmt’s mit Humor: „this has been the shortest symphonic metal song in history! Good night!” Mit “Suckerpunch” nehmen sie einen zweiten Anlauf, Martijn greift in die Tasten, aber Sander steigt wieder aus – klappt so nicht. Kleine technische Pause, die Sache wird flink behoben, und wir erleben das ganze Intro nochmal. Alles kein Problem, wird sind flexibel, tun wie in der After Eight Werbung „am besten so, als hätten wir es nicht bemerkt“, und feiern „The Cold“ und dann „Suckerpunch“ ordentlich ab. „Burning Bridges“ serviert dann eine Nummer vom eher disparaten „Apocalypse and Chill“, das geht schon ok live, zeigt aber auch, dass im Hause Delain zu dieser Zeit nicht mehr alles im Lot war. Mit „Invidia“ von „April Rain“ greifen sie dann ein ganzes Stück weiter zurück in die Bandhistorie, bevor es dann mit Schmackes in „The Quest And The Curse“ geht – Diana erweist sich dabei als im respektvollsten Sinne gemeint echte Rampensau, die die Sympathisanten gesten- und bewegungsreich mitreißt. Man möchte nicht glauben, dass die Dame erst seit kurzer Zeit zum Line Up gehört, so eingespielt und mit Verve kommt das rüber. Natürlich gibt es nun auch den „April Rain“, en wir ja vorhin schon auch in natura bestaunen und erleben durften, bevor es dann beim neuen „Underland“ eine ganz massive Soundattacke setzt.
Das kracht und symphonikt, dass es die echte Delain-Art hat – Martijn hat es geschafft, das Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Schön dann das eher elegische „Hurricane“, als Diana dann einen Gast ankündigt: „Beneath“ stimmt sie zusammen mit Paolo Ribaldini (nicht zu verwechseln mit Ronaldo Ronaldini) an, der seinen Job als quasi-Marco Hietala-stand in mehr als überzeugend absolviert. Weil er schon da ist, bleibt er bei der „Queen Of Shadows“ gleich dabei und bringt dann mit „Your Body Is A Battleground“ (nach meinem Dafürhalten ein absolutes Highlight der Kombo) eines der ultimativen Delain-Duette (im Original eingezimmert vom Duo Charlotte/Marco) zusammen mit Diana mehr als schmissig auf die Bretter. „This is a very old song, this song was 15 kilos ago!“, kündigt Chefentertainer Ronald nun launig die Bandhymne “The Gathering” an, die die Halle endgültig zur Hüpfburg macht. „Wow, does anyone have a jacket for me? It is hot as fuck up here!” Da können wir aushelfen und reichen scherzhaft gerne diverse Joppen auf die Bühne. Zu „Don’t Let Go“ hüpfen wieder brav gemeinsam, zumal die gute Diana im Gegensatz zu ihrem Kollegen an den Saiten die Jacke zur Seite wirft. „Moth To A Flame“ und „Not Enough“ beschließen den Reigen – kurzfristig, natürlich gibt es noch Nachtisch. Der kommt prompt in Form des alten Reißers „Mother Machine“, auf das dann ein weiterer Paartanz folgt: auch bei „Sing To Me“ schaffen es Diana und Paolo, ihre ganz eigenen Duett-Akzente zu setzen. Den aus früheren Zeiten gewohnten Schluss- und Glanzpunkt setzt dann die Hymne „We Are The Others“, die trotz des ernsten Hintergrunds wieder zu ausgelassenem singalong animiert – so muss das sein, wir feiern die Rückkehr einer unserer liebsten Symphonic-Formationen, verlassen die holländische Sauna und hoffen auf ein sehr baldiges Wiedersehen.