Mit Megadave im Dampfbad: Megadeth machen Station in der Tonhalle
/30.06.2016, Tonhalle München
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„Boah, ist das heiß!!“ Hobby-Metereologe Sebbes fasst die Lage gewohnt treffend zusammen. Der Fußballreporter im Radio wird später von „Bächen aus Schweiß“ reden, die den Spielern in Frankreich ankleben. Firlefanz, sagen wir, wer die konkrete Schwitzung will, der muss hierher! Und zwar zur restlos ausverkauften Dystopia-Tournee von Megadeth, auf der der gute alte Dave alles vorführt, was ihn ausmacht: massives Riffing, schwindelerregende Soli und seinen, nun ja sagen wir mal unverwechselbaren, Gesang. Also, meine Herrschaften, es gilt der gleiche Leitspruch wie beim Anhalter durch die Galaxis: Handtuch nicht vergessen, und rein ins Vergnügen!
Die Tonhalle in der Kultfabrik (die gerade tatsächlich abgerissen wird, ein Jammer ist das, wo sollen wir denn nun hingehen bitte?) wird schon lange vor Beginn regelrecht belagert, nach einigen kleinen Wirrungen mit der Bürokratie (die vor Ort ausnehmend freundlich geregelt wurden, vielen Dank nochmal an die Crew von Global Concerts!) dürfen wir eintreten und treffen dabei sogar einige Kollegen, die im bürgerlichen Leben ebenso sachfremden Beschäftigungen (zumindest aus aus Roggenroll-Sicht) nachgehen wie wir. Aber diese Feststellung haben wir ja schon verschiedentlich getroffen, dass sich im Metal schon immer kluge Menschen versteckt haben, die jetzt zur in allen Belangen durchaus relevanten oberen Mittelklasse (mindestens) gereift sind. Und heute geht auch ein Maiden-Shirt, weil ja nicht Maiden spielt.
Die Tonhalle ist als Austragungsort nur bedingt geeignet, mit den vielen Stahlträgern rechts und links, die die Sicht versperren, einer Galerie, auf der man dank jeder Menge herunterhängen Kabeln auch nicht so recht sieht, und einer viel zu niedrigen Bühne, auf die höchstens ein Hüne freien Blick hat. Und beim ersten - und leider relativ späten - Schritt in die Räumlichkeit läuft einem der Schweiß sofort über die (teilweise hohe) Stirn. Aber sei’s drum, die US-Thrasher von Havok legen schon mal ein ordentliches Brett auf, das bei der Meute durchaus für Stimmung sorgt. Der mehr als ordentlich durchtretende Sound passt bestens zur kommenden Attraktion, komplett mit fein beleuchtetem Bass von Nick Schendzielos auf die Fronter David Sanchez verweist, bevor er uns nach gut 40 Minuten mit launigen Worten entlässt: „Think for yourself, support music, be nice – if everyone did this, the world would be a much better place!“ Ein Philosoph, fürwahr!
Jetzt wird dann aber endgültig alles angerichtet, die Bühne ist durchaus massiv ausgestattet, mit antiutopisch angehauchtem Flair und zahlreichen Video-Monitoren, aus denen alsbald ein Intro in Wort und Bild dröhnt, bevor die Mannen mit dem Knaller „Hangar 18“ gleich einen Kracher an den Anfang setzen. Megadave hat seine Mannschaft bekanntlich runderneuert, was der Sache durchaus zu Gesicht steht: Chris Adler an den Drums und Kiko Loureiro am 6-Saiter sorgen für ordentlich Dampf (als ob es das noch bräuchte - in der Halle hat's gefühlte 535 Grad), und dass sich Herr Mustaine und sein Basser Dave Ellefson wieder halbwegs vertragen, schadet auch nicht. Somit drückt der Sound formidabel, während die Bildschirme das seinerzeit in MTV ominpräsente Video der finsteren Mär vom Hangar 18 einspielen, über den Megadave aus irgendwelchen Gründen zu viel weiß. Der Meister selbst versteckt sich weitgehend hinter seinem Markenzeichen, der roten Mähne: „der hat ja auch ein Gesicht!“, stellen wir nach ungefähr der Häflte des Gigs amüsiert fest. Akkurates Riffing, komplex-vertrackter Aufbau, flirrende Soli, politisch-kritische Texte – alle Trademarks des Megadeth-Sounds sind am Start, und dass Dave wohl nie zum begnadeten Vokalisten werden wird, ist verstanden und wird durch einige Effekte ein wenig übertüncht, wobei ich kein aufdringliches Sampling vernehmen kann. Gut so! Ehrlich rockt am längsten!
Die Stimmung kocht sofort über, Sprechchöre, Fäuste und Mähnen allenthalben - und durchaus holde Weiblichkeit in den ersten Reihen, wie der irgendwann wieder herbeieilende rasende Fotograf Sebbes vermeldet (ebenso zu meinem Erstaunen berichtet man, das Licht sei zur Abwechslung einmal gut, „da vorne scheint die Sonne!“). Mit „The Threat Is Real“ zimmert Dave dann den Opener vom aktuellen Album „Dystopia“ ins verwinkelte Gebälk der Halle, bevor das dann folgende „Tornado Of Souls“ dem kürzlich verstorbenen, ehemaligen Drummer Nick Menza gewidmet wird. Nach weiteren Steuerknüppeln („Poisonous Shadows“) folgt mit „Wake Up Dead“ eine Nummer vom formativen „Peace Sells“-Album, und mit „In My Darkest Hour“ von „So Far So Good So What“ hält man die Old School-Fahne gleich weiter oben. Dieses Stück - mit Tempi-Wechseln, unterschiedlichen Parts und dunkler Stimmung - zeigt im Vergleich zu neueren Nummern wie „Dystopia“ die musikalische Reise, die der gute Megadave zurückgelegt hat: vom anspruchsvollen Thrash der Anfänge über die eher kommerziellen Ausritte der 90er bis hin zum eingängigen, aber natürlich immer noch harten Metal der Neuzeit. Viel sagt er nicht, der gute Mann, aber wenn er sich mal die Mähne von der Nase wischt, zeigt er sich als jovialer Gastgeber, der immer für ein höfliches Wort gut ist, sich pausenlos bedankt und sich entschuldigt, dass der letzte Besuch acht Jahre her ist. Auch persönlich dürfen wir eine Entwicklung konstatieren, vom gerne mal aufmüpfigen enfant terrible der Anfangsjahre (wobei mir nie klar gemacht werden konnte, warum ein Elefant so schrecklich sein soll) bis hin zum freundlichen Zeremonienmeister, den wir heute erleben (vielleicht ist das bei den Big Four ja mittlerweile so Brauch – auch Tom Araya zeigte sich vor einigen Wochen ja äußerst zuvorkommend, und bei Metallica ist anstelle von Begrüßungen des „fucking new fucker“ mittlerweile love for the family das Motto).
Ansatzlos kommt dann das Stakkato-Riff der brillanten „Symphony Of Destruction“, die zum Mitbang/sing/mosh-Fest gerät, wozu sogar in unserer nächsten Nähe ein kleiner Pit eröffnet wird und einer unserer eingangs erwähnten Kollegen kurzzeitig über der Menge schwebt. Unglaublich. Und als dann ein breitwandiges „Peace Sells“ das reguläre set beschließt, ist dann wirklich alles geboten – ein Refrain, den die Meute alleine singt („If there’s a new way, I’ll be the first in line, but it better work this time“), und vor allem ein Vic Rattlehead, der in Anzug und Gummimaske über die Bühne fegt und fragt, wer denn nun kaufen wolle. Quasi Eddies guter Kumpel. Wunderbar! Kurze Pause, dann kommen sie natürlich nochmal hervor, und Dave führt aus: „I wrote this song more than 20 years ago, and it is still as relevant as it was back then“. Ja, zeitlose gesellschaftlich-politische Themen waren schon immer sein Ding, und das gilt (leider) nicht zuletzt für „Holy Wars“, das nun in epischer Breite zelebriert wird und einen mehr als würdigen Abschluss liefert. Die Menge ist restlos aus dem Häuschen, wir streben nach außen und schnappen erstmals wieder frische Luft. Wir sammeln uns kurz - "Countdown To Extinction" hätten wir vielleicht gerne noch gehört, oder auch das schöne "A Tout Le Monde". Und natürlich "Mechanix", seine Fassung der "Four Horsemen", die er ja für seine ex-Band mit geschrieben hat, aber das war vielleicht zu verwegen. Draußen scheint es ein Gewitter gegeben zu haben – passend, denn wir haben immerhin auch gerade eines erlebt. Bestens, gerne wieder, und für den einen oder anderen von uns sogar eine Live-Premiere. Getrennt haben wir die Big Four somit mittlerweile alle gesehen, wird langsam mal Zeit für das Gesamtpaket. Ach ja, und Portugal hat im Elfmeterschießen gewonnen. Das war klar, denn das hatte ich ja so getippt.