Ein Wohnzimmer im Delirium: Lacuna Coil, Forever Still und Genus Ordinis Dei im Strom

Lacuna Coil & Forever Still
03.11.2016, Strom München
zu den Bildern

„What must, that must“ – dieser launige Sinnspruch, den wir in der nahe gelegenen (und famosen) Currywurst-Lokalität entdecken, gilt auch für heute abend: wenn Cristina uns zur Ansetzung lädt, dann sind wir natürlich dabei, da gibt es kein Versehen. Denn Auftritte der italienischen Ausnahmekombo sind stets besondere Vergnügen, und da sollte auch das Konzert im Rahmen ihrer aktuellen Tour keine Enttäuschung sein. Also: das muss dann eben, that must!

Zumindest für mich war die Reise ins Strom Premiere, Kollege Sebbo (der natürlich schon in der Nähe wohnte, was sonst) kennt sich bestens aus – und ist dann doch überrascht, als wir die Arena betreten, die in etwa die Ausmaße eines gut sortierten Gemischtwarenladens hat. Das wird also kuschlig heute, was angesichts der Popularität und auch des Erfolgs der aktuellen Langrille („die sind überall in den Charts!“, referiert Media Control-Geschäftsführer Sebbes) doch ein wenig verwundert. Aber wir lassen uns nicht verdrießen, ich amüsiere mich noch, dass mich der Einlass-Stempel als „Paketpost“ klassifiziert, dann platzieren wir uns am Merchandise-Stand, bis es um pünktlich 21 Uhr losgeht.

Den Auftakt machen mit Genus Ordinis Dei vier junge Herren aus Crema in Italien, die die Bühne allesamt in Kapuzenpulli entern und dann einen krachigen Reigen voll gothic-doomiger Klänge zaubern. Zentrum bildet dabei der hühnenhafte Gitarrist Nick K., dessen finstere growls und dräuende Blicke sich mit dem heftigen Riffing und orchestral angehauchten Soundteppich bestens verbinden. Dabei entsteht eine unheilsschwangere, mystische Atmosphäre, die teilweise von höchst melodischen Attacken unterbrochen wird. Der bunte Blumenstrauß, überwiegend bestehend aus Material vom aktuellen Album „Great Olden Dynasty“, neigt sich nach 25 Minuten schon wieder dem Ende zu, sorgt aber für ein Ausrufezeichen gleich zu Beginn.

Forever Still - mehr Fotos

Dass das Licht heute wirklich schwierig ist, muss sogar ich konstatieren, teilweise ist es zu finster, um mein Zettelwerk zu lesen geschweige denn gute Schnappschnüsse zu produzieren. Aber auch das lassen wir nicht an uns heran, sondern beobachten, wie die jetzt anstehende Kombo ihre Ausrüstung nebst Backdrop höchstselbst montiert und dann auch gleich darauf gut gelaunt ins Set einsteigt. Forever Still aus Dänemark sind eine female fronted Band der etwas anderen Art: denn hier gibt es nicht den handeslüblichen Elfengesang auf Orchester-Basis, sondern schön traditionellen Heavy Metal, wobei nicht nur Sängerin Maja Shining (Haare: scheinend silbern, T-Shirt und Hose: zerrissen), sondern auch Gitarristin Partsch (Beinkleid ebenso – vielleicht kleidet man sich bei Kollegin Alissa White-Gluz ein?) für beeindruckende Frauenpower sorgen. Gemeinsam mit Multitalent Mikkel Haastrup, der heute in dunklem Kajal den Bass schwingt, steigen Forever Still mächtig ein und feuern ihren ausdrucksstarken, sehr gesangszentrierten Sound unters Volk.

Dabei geht es quer durchs Material ihres Debuts „Tied Down“: „Miss Madness“ präsentiert feine, ruhige Momente, dann folgen wieder kräftiges Riffing, über dem die Stimmgewalt von Frau Shining thront, die auch bei atmosphärischen Halbballaden wie „Save Me“ bestens zur Geltung kommt. Leichte elektrische Einsprengsel fügen sich bestens ins Geschehen, die angereisten Schlachtenbummler zeigen sich zunehmend begeistert, bis dann mit „Scars“, dem Opener des aktuellen Albums, ein schmackiger Schlusspunkt gesetzt wird, bei dem Maja beweist, dass auch wüste growls zu ihrem Repertoire gehören. Modern, heavy, melodisch im besten Sinne – wir sind entzückt. Zumal sich die Damen sehr publikumsnah geben, sich im Anschluss unters Volk mischen und bereitwillig für Gespräche und Fotos zur Verfügung stehen. „Die sehen wir nochmal wieder – die können das noch 30 Jahre machen!“, konstatiert das Orakel vom Berge Sebbes, bevor wir uns dann auf die Hauptattraktion vorbereiten.

Lacuna Coil - mehr Fotos

Die Bühnendeko, die sich nun erspähen lässt, nimmt dann die gesamte, wenn auch nicht sonderlich epochale, Bühnenbreite ein, komplett mit Gittern, hinter denen man sich verstecken kann und die das Hauptthema des aktuellen Lacuna Coil-Albums „Delirium“ spiegeln sollen. Die Erwartungshaltung steigt spürbar, als die Italiener herbeistürmen und zu endlich ordentlicher Lightshow mit „Ultima Ratio“ loslegen. Komplett in zwangsjacken-ähnliche Joppen gekleidet und wüst geschminkt (Basser Marco Coti Zelati – im übrigen Produzent von Genus Ordinis Dei - sieht mit buntem Bart aus wie der Violator aus Spawn, während Gitarrero Daniel Sahagun kreidebleich mit Kopfschuss-Schminke dasteht), legen die alternative Metaller ordentlich los, wobei die Gesangsdienste zunächst von Growl-Meister Andrea Ferro versehen werden. Etwas sperrig kommt dieser Titel als Opener daher, aber spätestens als Cristina Scabbia erscheint, ist die Stimmung bestens: kürzere, ziemlich rote Haare, blutbefleckte weiße Jacke, so greift sie ins Geschehen ein und überzeugt sofort durch ihre überragende stimmliche Qualität.

LACUNA COIL - MEHR FOTOS

Das ältere „Spellbound“ (von 2009) gerät dann zum ausgelassenen Headbanger-Fest, während Frau Scabbia gut gelaunt zu immer besserer Form aufläuft. Nach „Die And Rise“ versichert sie uns, den nächsten Song kennen wir alle, und wir sollen doch bitte vehement mitsingen – das erledigen wir bei „Heaven’s A Lie“ nur allzu gerne, bei dem die Kombination aus den beiden Stimmen (einmal klar, einmal grunz) herausragend funktioniert. Das neue Album, so führt Cristina jetzt aus, sei ein Konzept, eine Idee eines Ortes, an dem sich alle wiederfinden und wohlfühlen können, die andernorts nicht willkommen, denn schließlich bestehen wir alle aus „Blood, Tears, Dust“ – wie das gesamte neue Material kommt auch dieser Song von „Delirium“ moderner, nu Metallischer, mit mehr Gesangsanteil von Herrn Ferro rüber, aber für ihre stilistische Bandbreite kennen und schätzen wir Lacuna Coil ja eben – stets komplex, immer atmosphärisch und zutiefst packend. “Ghost In The Mist“ kommt uns dann sogar mit ein paar Elektro-Beats und einer glasklar singenden Cristina entgegen, bevor mit „The Ghost Woman And The Hunter“ ein Song vom Klassiker „Comalies“ („for all old school fans out there!“, jawohl!) in runderneuerter Form zum Zuge kommt und wortwörtlich gespenstische Stimmung zaubert.

LACUNA COIL - MEHR FOTOS

Massiv heavy und melodisch ballert dann „Trip The Darkness“ daher, das die drei italienischen Damen hinter mir zur massiven Verzückung bringt und auf der Bühne von heftigen Headbanging-Attacken begleitet wird. Langsamer, getragen, fast elegisch dann „Downfall“, bevor dann eine regelrechte Inszenierung beginnt: Herr Ferro lässt sich auf einem Stuhl nieder, Cristina entschwindet kurz und kehrt in blutbeflecktem Spitzenkleid zurück, worauf man die durchaus kranke Ballade „You Love Me ‘Cause I Hate You“ als intensives téte à téte szenisch darbietet. Ganz großes Gruselkino! Bei „Our Trutt“ wirft Frau Scabbia dann ihr Jäckchen von sich, man feiert den Song treibend rhythmisch mit Hüpfeinlagen ab, und Cristina bedankt sich artig bei uns – sie sei ein wenig kränklich gewesen, aber jetzt vollkommen wiederhergestellt, auch Dank der Energie des Münchner Publikums. Das wird dann zum Depeche Mode Cover „Enjoy The Silence“ zum massiven Mitsingen animiert – auch wenn man über die Gottkönige des Elektro-Pop geteilter Meinung sein darf, steht außer Frage, dass Dave Gahan eine rechte Rampensau ist, an die nicht viele Kollegen heranreichen.

LACUNA COIL - MEHR FOTOS

Das schafft vielleicht der ebenso fragliche Marilyn Manson mit seiner Version des „Personal Jesus“, und auch Country-Legende Johnny Cash konnte mit seiner Jesus-Fassung überzeugen – aber auch Lacuna gelingt erneut eine famose Version dieses anderen Mode-Klassikers, komplett mit stimmiger Atmosphäre und enthusiasmierten Reaktionen. Fein! Anschließend erläutert uns Cristina, jetzt gehe es um das Motto der gesamten Bandhistorie, das auch als Lebensweisheit tauge: „We fear nothing!“, dürfen wir skandieren, als „Nothing Stands In Our Way“ den krönenden Abschluss liefert. Zunächst. Denn nicht nur die Italia-Fraktion ruft natürlich laut nach mehr, was wir in Form von des Titeltracks vom aktuellen Album auch bekommen, den Cristina im vollgekritzelten Nachthemd und herausragender Stimme vorführt. „Zombie“ brettert ordentlich los, aber dann ist mit „The House Of Shame“ leider endgültig Ruhe im kleinen, überschaubaren Karton. Wunderbar! Anders! Brillant. Und immer wieder gerne, sagen wir da. Ciao!

www.lacunacoil.it
www.foreverstill.dk
www.genusordinisdei.com