Schweres Orchester im güldenen Kleidchen: Delain, Evergrey und Kobra and the Lotus im Backstage
/28.10.2016
Backstage München
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Üblicherweise haben female fronted symphonic Metal bands und Dosenmilch ja nicht viel gemeinsam. Aber im Falle von Delain gilt das Motto, das jeder kennt, der seine formativen Jahre in den 70ern verbracht hat: Tröpfchen für Tröpfchen Qualität (oder dröbje for dröbje qualidaid, wie das launig vorgetragen wurde), so warb man für Kondensmilch aus Holland. Und das gilt neben der Herkunft aus den Niederlanden auch für diese Kombo: Album für Album, Tournee für Tournee haben sich Delain vom Geheimtipp als Within Temptation-Ableger hin zur festen Genregröße entwickelt. Somit war es schlichtweg alternativlos, die Münchner Ansetzung der „Moonbathers“-Gastspielreise zu verfolgen – zumal illustre Gäste im Tross mitreisten.
Die sind schon ordentlich zu Werke, als wir das beachtlich gefüllte Rund (naja rund ist es nicht, ok) des Backstage Werks betreten: Kobra And The Lotus aus Calgary, Canada, feuern da ihren sehr klassischen Heavy Metal unters Volk. Der Lotus gibt ziemlich Gas, aber den Blickfang gibt dabei natürlich Fronterin Kobra Paige ab, die nicht nur mit ihrer klassisch geschulten Stimme glänzt, sondern auch durch das golden glitzernde Barbarella-Oberteil, entsprechende Handschuhe und optional sogar eine entsprechend abgestimmte Kapitänsmütze. Das setzt den Farbton für den Abend, aber auch musikalisch fahren die Nummern wie die aktuelle Single „Trigger Pulse“ oder „50 Shades Of Evil“ ordentlich ins Beinkleid. Irgendwie endet die Sause dann aber sehr unvermittelt, mehr als 5 Songs gesteht man ihnen leider nicht zu – wir schauen ein wenig verdutzt, aber sei’s drum. Ordentlich als Auftakt, „wie Doro, als die noch jung war!“, rufen wir aus.
Ganz hibbelig im Vorfeld warten ja einzelne Vertreter unserer Besuchergruppe darauf, endlich den guten Tom Englund mit seinen Evergrey wieder erleben zu dürfen – immerhin schaffte man es schon einmal auf ein Foto mit dem Kollegen, wie hier im Fundus zu bestaunen. Die Vorfreude war in der Tat keinesfalls überzogen, denn Onkel Tom und seine Freunde zaubern in der Folge einen betörenden, melodischen, atmosphärischen Klangteppich, dass es eine höchst kultivierte Art hat. Dabei verbinden sich wie stets proggige Anflüge mit symphonischen Elementen und traditioneller Metal-Melodieführung zu einer ganz eigenen Melange, die wir allesamt herausragend finden. Gesanglich zweifelsohne auf der Höhe serviert der Zeremonienmeister mit coolem Stageacting Nummern wie „The Fire“ oder „Leave It Behind Us“, bevor er uns dann beim aktuellen „In Orbit“ selbst die Floor macht – denn Frau Jansen, aber das wissen wir doch längst, „is having a baby“ und kann ihre Parts in dem Song daher nicht persönlich absolvieren. Einstweilen eilt ein verzückter Sebbo vom Fotografieren herbei, konstatiert (nach der üblichen „Da ist nur rotes Licht, da kann man keine Bilder machen“-Rede, die wir nur noch zur Kenntnis nehmen): „Das ist die meist verkannte und genialste Band überhaupt!“ – was wir nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern vehement unterstützen müssen. Nach einem wunderbaren „Touch Of Blessing“ vom Album „The Inner Circle“ kredenzen sie uns dann noch „King Of Errors“, was uns an die besten Queensryche-Momente erinnert, bevor Tom uns quasi schwebend entlässt. Wunderhaftig!
Während die Zuschauerzahl wie auch die Mann-/Fraustärke unserer Besuchertruppe stetig zunimmt, richtet man auf den Brettern nun alles für die Hauptattraktion des Abends her – als wir sie letztes Mal besuchten, gastierten Delain noch in der kleineren Halle nebenan, mittlerweile füllen sie das Werk sowohl in Sachen Bühnenausstattung als auch Schlachtenbummler mehr als würdig aus. Nach einem kurzen Intro mit dem Instrumental „The Monarch“ brettern die Herrschaften dann mit „Hands Of Gold“ massiv los – der Opener vom aktuellen Album „Moonbathers“ kracht mit voller orchestraler Wucht ins Kontor. Keyboarder und Bandgründer Martijn Westerholt präsidiert wie stets im Hintergrund über das Geschehen, die Instrumentalfraktion mit dem grimmen Timo Somers und der mittlerweile fest engagierten zierlichen Merel Bechtold (goldene Jacke, gemäß dem Leitmotiv) steht wie eine Eins – aber machen wir uns da mal gar nichts vor, alle Augen sind natürlich auf Charlotte Wessels gerichtet, die den leuchtenden Mikroständer schwingt und uns durch eine gesanglich erneut herausragende Leistung verzückt.
Und es nutzt ja nichts, auch ihre holde Erscheinung mit roten Haarsträhnen, schwarzen Stiefeln und – das Kleidungsmotto des Abends wird vollendet – güldenem Pailletten-Kleidchen tut der Sache natürlich keinen Abbruch. Die Grunzdienste, die auf Konserve der Arch Enemy-Frontrottweiler Alissa White-Gluz übernimmt, versieht livehaftig Basser Otto Schimmelpenninck van der Oije (bei so einer Namenskolonne scheint Grunzen auch die einzige Chance) aus voller Brust – das röhrt wunderbar und passt bestens. Weiter im Text sofort mit „Suckerpunch“, das auf dem Appetithäppchen „Lunar Prelude“ schon zu hören war und auch heute Abend massiv hereindrückt. Alle Protagonisten haben dabei sichtlich Spaß an der Sache, Merel fegt auf ihren flachen Schuhen durchs Geschehen, während Charlotte ihre mittlerweile überragende Bühnenpräsenz voll ausspielt und die Menge mühelos zum massiven Mitsingen animiert (vier Ms! Wenn das kein ordentlicher Stabreim ist!). Jetzt begrüßt uns Charlotte höflich in unserer Landessprache: „Es ist schön, dass Sie alle hier sind!“ (was uns natürlich sofort an ihre Kollegin Sharon den Adel gemahnt, die ja auch immer höchst zivilisiert fragt: „Würden Sie bitte mitsingen?“ – so etwas hört man bei Slayer eher selten, obwohl Herr Araya auf dem diesjährigen Rockavaria auch sehr galant war). Das folgende „Glory And The Scum“ macht die Auftakt-Trilogie von „Moonbathers“ dann komplett: mit Vehemenz kommt das daher, mächtig überrollt uns der Sound, über dem Charlottes Stimme thront (und der rote Haarrotor wirkt auch Wunder – my dear mr singing club, das macht was her!).
Zurück in die Bandhistorie geht es dann mit dem bezaubernden „Get The Devil Out Of Me“ vom „We Are The Others“-Album von 2012, bevor dann beim neuen „Pendulum“ Herr Schimmelpfennig wieder den brunftigen Hirsch geben darf, was er erneut famos erledigt. Der aus dem Fotograben zurückgeeilte Haute Couture-Spezialist Sebbo stellt atemlos fest: „Alter, die hat ja nen Ausschnitt bis zum Bauchnabel“, was uns nicht weiter verstört, denn jetzt marschiert die „Army Of Dolls“ los und macht gehörig Laune. Das wunderbare, etwas getragenere „The Hurricane“ und „April Rain“ setzen den Reigen fort, der mit dem leicht schrägen, aber immer wieder brillanten „Here Come The Vultures“ einen weiteren Höhepunkt erklimmt. Auch wenn es etwas unfair wirkt, dass die doch nicht kleine Charlotte ihrer Kollegin Merel immer wieder mal die Hand auf den Kopf legt – das Zusammenspiel der Kombo wirkt in keinster Weise aufgesetzt, sondern authentisch enthusiasmiert, was wir ebenso zunehmend sind. Selbst heute gastweise anwesende Schlachtenbummler, die üblicherweise keine Genrefreunde sind, konstatieren gerne, dass das hier und heute erste Qualität ist – kein Wunder bei Nummern wie dem schnellen „Fire With Fire“ oder dem quer-melodischen „Danse Macabre“.
Mit einem allgemeinen Hüpfalarm beim Klassiker „The Gathering“ und dem folgenden „Pristine“ ist dann leider aber schon das Motto von Paulchen Panther gefragt – ist für heute wirklich Schluss? Dankenswerterweise nicht, nach einer kurzen Pause geht es mit „Mother Machine“ und dem stampfenden „Don’t Let Go“ weiter, zu dem sich Charlotte dann vollends auf den Bühnenboden legt. Voller Einsatz, notieren wir gerne. „We Are The Others“ setzt dann einen würdigen Schlusspunkt unter eine fulminante Leistung, die wir anschließend im Club noch bei der dort stattfindenden weiteren passenden Beschallung standesgemäß feiern. Wobei wir sogar Tom Englund wieder treffen, der sich bereitwillig gerne nochmals mit uns ablichten lässt. Es geht eben nichts über Konstanten im Leben.